Zu feindlichen Ufern - [3]
gestorben?«
»Nun, er schlug um sich, trat gegen die Bordwand und die Planken. Sie hatten alle Mühe, ihn festzuhalten. Ich dachte, dass noch jede Menge Kampfeswillen in ihm steckte, zumindest in einem Mann, der dem Tod nahe war.«
»Haben Sie Greenfields Wunde sehen können, Mr Hawthorne?«
Griffiths, der aufmerksam zugehört hatte, blickte immer ernster drein.
»Habe ich. Er wurde am Rücken getroffen.«
»Wo etwa?«
Der Leutnant fasste sich ans Schulterblatt. »Etwa auf dieser Höhe, Sir.«
»Sind Sie sicher, Mr Hawthorne?«
»Ziemlich sicher. Einer der Rudergasten rief, Greenfield sei getroffen. Ich lud gerade meine Muskete nach, drehte mich um und sah, wie er auf seinen Riemen sackte. Blut drang durch den Stoff seiner Jacke, knapp oberhalb des linken Schulterblatts, würde ich sagen.«
Griffiths und Hayden tauschten Blicke.
»Von dem Moment, als er getroffen wurde, bis zu seinem Tod. Wie viel Zeit ist da vergangen?«, wollte der Doktor wissen.
Hawthorne überlegte, als müsse er die Bilder der Ereignisse noch einmal im Geiste durchgehen. »Nicht allzu viel Zeit, Doktor. Fünf Minuten – bestimmt nicht mehr als zehn.«
Hayden sah den Schiffsarzt an und zog fragend die Brauen hoch, aber Griffiths deutete an, keine weiteren Fragen mehr zu haben.
»Das wäre dann alles, Mr Hawthorne. Danke.«
Hawthorne, der größer war als Hayden, stand mit eingezogenem Kopf auf, tippte sich an die Stirn und ging in gebückter Haltung zu den Kameraden.
»Die beiden Berichte scheinen voneinander abzuweichen«, lautete Haydens Beobachtung.
»In der Tat. Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass Greenfield so schnell an einer Schussverletzung gestorben sein soll, die so hoch am Rücken war. Wenn er nicht erstickt wurde, dann würde ich vermuten, dass er an den Folgen des Blutverlusts gestorben ist. Aber eine Wunde hier oben …« Er fasste sich über die linke Schulter und berührte sich am Rücken – doch dann runzelte er die Stirn. »Es sei denn, die Kugel trat doch dichter an der Aorta ein, als Hawthorne vermutet …«
»Aber Sie können nicht mit Sicherheit ausschließen, dass Greenfield an den Folgen des Blutverlusts gestorben ist?«
»Ich kann überhaupt nichts mit Sicherheit sagen. Ich war ja nicht dabei. Er hatte eine Schussverletzung am Rücken, aber wo genau, weiß ich auch nicht. Es kann schon sein, dass eine Schlagader getroffen wurde, aber das bleibt ungewiss. Starb Greenfield nun, weil man ihm die Luft abdrückte? Ein Mensch überlebt nicht lange ohne Luft, aber es dauert schon eine Weile, bis man verblutet. Wenn er also innerhalb von fünf Minuten tot war, so ist er entweder erstickt oder eine Schlagader war verletzt.«
»Beide haben bestätigt, dass der Mann viel Blut verloren hat.«
»Das ist wahr, aber auch eine kleine Menge Blut kann viel größer wirken, als sie wirklich ist, wenn Kleidung oder das Gesicht blutverschmiert sind. Diesen Punkt würde ich nicht so ernst nehmen.«
Sie schwiegen eine Weile und gingen die Aussagen der Zeugen noch einmal durch. Erneut wurde ein Geschütz an Bord der Droits de l’Homme abgefeuert.
»Ist es nicht eher unpassend, jetzt Nachforschungen bezüglich des Todes eines Matrosen anzustellen?«, merkte Griffiths an.
»Das Erinnerungsvermögen des Menschen erweist sich oft als trügerisch. Je schneller man Angelegenheiten dieser Art verhandelt, desto besser – und desto mehr Details kommen ans Tageslicht.«
»Da haben Sie gewiss recht. Und die Männer haben etwas, über das sie nachdenken können – nicht nur über französische Gefängnisse.«
»Stimmt. Ich wünschte nur, Braithwaite und Carlson wären hier, denn dann kämen wir gewiss weiter mit unseren Nachforschungen.«
»Machen Sie sich nicht allzu große Hoffnungen, Kapitän. Wenn die beiden schlau sind, werden sie sich auf eine Version einigen und dabei bleiben – vorausgesetzt sie sind schuldig. Glauben Sie mir, letzten Endes tischen sie Ihnen irgendein Ammenmärchen auf: Greenfield sei in ihren Armen verblutet, und bis zuletzt hätten sie ihn getröstet und behutsam daran erinnert, bloß nicht zu laut zu sein.«
»Genau aus diesem Grund würde ich sie ja am liebsten jetzt gleich verhören. Denn dann hätten sie keine Zeit, sich in diesem Punkt abzusprechen.« Hayden dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ransome den Vorfall falsch dargestellt hat – glauben Sie mir, ich kenne ihn inzwischen ein wenig. Es
Weitere Kostenlose Bücher