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Zu gefährlicher Stunde

Zu gefährlicher Stunde

Titel: Zu gefährlicher Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht zu interessieren. Meistens haben wir über
ihn geredet — und dann stellte sich heraus, dass alles erlogen war.«
    Nach dem Anruf ging ich zu dem
Kleiderschrank, der mir als Garderobe diente, und betrachtete die Auswahl, die
ich dort bereithielt, falls etwas anderes als Businesskleidung oder Jeans und
Pulli angesagt war. Das kleine Schwarze war zu förmlich für den Mission
District; das Penner-Outfit passte für die Straße, nicht aber für die Clubs;
das Cord-Trägerkleid von L.L. Bean würde kein Mensch für einen Abend in der
City wählen. Aber die enge Lederhose und das kurze passende Jäckchen wären in
Ordnung, wenn ich sie mit dem roten Seiden-T-Shirt kombinierte.
    Ich ging mit den Kleidern, einem
Make-up-Täschchen und Modeschmuck in die Toilette. Wusch mir das Gesicht und
band mein Haar zum Pferdeschwanz. Dann takelte ich mich mit dickem Lidschatten,
Wimperntusche, Rouge und leuchtend rotem Lippenstift auf. Als ich fertig war
und mich im Spiegel an der Rückseite der Tür betrachtete, sah ich aus wie eine
Frau, mit der sich jeder Dealer, der etwas auf sich hielt, nur zu gerne treffen
würde. Besonders hübsch waren die langen roten Ohrringe, die zum T-Shirt
passten. Ich holte meinen 357er Magnum aus dem Safe und steckte ihn in die
Handtasche. Normalerweise lief ich nicht gern bewaffnet herum, doch heute Abend
war mir wohler damit.
     
    Halb neun. Auf der Twenty-fourth
zwischen Mission und Van Ness herrschte Hochbetrieb. Menschen betraten und
verließen die BART-Station; Paare trafen sich auf dem Gehweg und schienen zu
überlegen, wo sie etwas essen oder trinken wollten; andere eilten zielstrebig
durch die Straßen. Ich mischte mich unter die, die es eilig hatten, und war
kurz darauf im Holidaze.
    Der Club stand unter dem Motto Reisen —
Plakate mit Traumzielen an den Wänden, Flugzeugmodelle an der Decke. Die Bühne
und die kleine Tanzfläche weiter hinten im Raum waren dunkel und verlassen.
Musik drang aus den Lautsprechern — im Moment lief der alte Song von den
Pyramiden jenseits des Nils. An der Theke war wenig los, und ich suchte mir
einen Platz am Fenster, von dem aus ich den ganzen Raum überblickte.
    Die meisten Tische waren besetzt, an
der hinteren Wand gab es Sitznischen. Ich erkannte meinen Mann in der mittleren
Nische. Er war schwer gebaut, eher muskulös als dick und trug eine schwarze
Augenklappe — um eine alte Verletzung zu verbergen, über die er nicht sprechen
wollte, wie Julia mir erklärt hatte. Er hatte dichtes, gut frisiertes Haar, das
ein wenig grau meliert war; sein blaues Seidenhemd sah teuer aus. Ich schätzte
ihn auf Mitte bis Ende dreißig. Vor ihm stand ein volles Glas mit einer blassen,
bernsteingelben Flüssigkeit, doch er trank nicht davon, während er sich
angeregt mit einem kleinen, schäbig wirkenden Mann in verblichener Jeansjacke
unterhielt. Dann packte er den Mann am Unterarm und redete noch eindringlicher
auf ihn ein.
    »Was darf es sein, Miss?«
    Der Barkeeper. »Hm, Wein. Chardonnay.«
    »Wir haben Kendall Jackson, Deer Hill —
«
    »Der Hauswein ist völlig in Ordnung«,
sagte ich, als mir das knappe Budget der Agentur einfiel.
    Als ich wieder zu der Nische
hinübersah, war der kleine Mann verschwunden, und Duarte hatte das Handy am
Ohr.
    In der nächsten halben Stunde saß er
allein da, trank und tätigte einen Anruf nach dem anderen. Ich hielt mich an
dem Wein fest, der ziemlich grauenhaft schmeckte, und überlegte, wie ich
Kontakt zu ihm aufnehmen konnte. Schließlich schaltete er das Handy aus,
bestellte noch einen Drink und blickte sich um. Sein Blick blieb an mir hängen,
und er lächelte; mit der Augenklappe sah er aus wie ein verwegener Pirat.
    Ich lächelte zurück, und Duarte machte
mir ein Zeichen, herüberzukommen.
    Warum lief das nicht so, wenn ich
wegging, um wirklich jemanden kennen zu lernen?
    Als Erstes fiel mir sein Aftershave auf
— zu viel und zu intensiv. Dann, als wir uns vorstellten und die Hand
schüttelten, seine tadellose Maniküre. Ich gab mich erneut als Robin Blackhawk
aus und entschuldigte mich im Geiste bei meiner Halbschwester. Robins
Fachgebiet waren Bürgerrechte, sie hätte jemanden wie Duarte, der seine eigene
Bevölkerungsgruppe in ein schlechtes Licht rückte, gehasst.
    »Also, Robin Blackhawk, erzählen Sie
von sich.«
    »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich
bin aus Idaho und brauchte nach meiner Scheidung einen Tapetenwechsel. Im
Moment wohne ich bei Freunden und suche einen Job.«
    »Als was?«
    »Egal.

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