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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aysegül Acevit
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Musikindustrie, die lieber mit den Fanta4 das große Geld verdienen wollte, den türkischen Jungs und Mädels aus Berlin oder Hannover oder Ratingen nicht zugetraut, dass sie auch ein Massenpublikum begeistern könnten. Diese jungen Musiker erzählten immer wieder in Gesprächen, wie schwer es für sie sei, Plattenverträge oder Sponsoren zu bekommen. Zu Unrecht, wie heute erfolgreiche Rapper beweisen, die ihre Wurzeln in der Türkei oder in anderen Ländern haben.
    Damals bekam das auch die deutsche Öffentlichkeit allmählich mit, als sich ein Phänomen abzuzeichnen begann, das heute fast jedes türkische Kind kennt. Einige Rapper aus verschiedenen Orten in Deutschland hatten sich zusammengetan, um sich den Frust von der türkischen Seele zu rappen. Sie nannten sich Cartel. »Die Nummer eins, die verrückten Türken, die aus der Hölle kommen«, so haben sie es gesungen. Nicht nur in Deutschland gaben sie Konzerte, sondern auch in der Türkei, wo sie ganze Stadien füllten und berühmter als Michael Jackson waren. Die türkischen Rapper aus Deutschland wurden umjubelt wie Weltstars. Sie brachten nicht nur den Hiphop in die Türkei, die bis dahin von Popmusik überflutet war. Hiphop dagegen war so gut wie unbekannt. Ihre Musik erinnerte die Menschen in der Türkei daran, dass weit weg in Deutschland Jugendliche lebten, die frustriert gewesen waren und nun ein neues Selbstbewusstsein gefunden hatten. Mit ihrem Türkisch, das nicht so ganz perfekt war, und ihren Klamotten, die die meisten Türken ziemlich unschick fanden, brachten sie einen ganz neuen Wind in die türkische Musiklandschaft.
    Ein Wind, der dort bis heute weht. Während Deutschland den Hiphop aus Amerika importiert hat und die türkischen Rapper in Deutschland dabei eine wichtige Rolle gespielt haben, importierte die Türkei diese Musik aus Deutschland, und zwar wieder von den gleichen Leuten. Heute ist der Hiphop in der Türkei von den Deutschlandtürken unabhängig, und die türkischen Rapper im deutschen Musikgeschäft sind längst im Mainstream angekommen und machen ihre Musik vor allem für deutsche Fans.
    Abschiedsküsse und Knofikult
    Neulich ging ich in Berlin spazieren. Es war einer der Tage, an denen die Sonne gute Laune hat und diese mit den Menschen teilt. Es war am Prenzlauer Berg, dort wo die jungen Deutschen wohnen, die einen Sinn für die Leichtigkeit des Lebens haben und für Menschen mit anderer Hautfarbe. Als ich durch die Straßen schlenderte, vorbei an jungen Muttis mit Kinderwagen und Papis mit Kapuzenshirt, vorbei an indischen und asiatischen und türkischen Imbissbuden und vorbei an Schickimicki-Boutiquen, da sah ich auf einmal einen jungen Mann, der mich etwas irritierte. Ich schaute ihn an und dachte: »Komisch. Mit dem stimmt doch was nicht?« Aber ich konnte nicht erkennen, was es war, und so lief ich weiter und setzte mich in ein Straßencafe, von wo aus ich einen guten Blick auf das Treiben hatte. Ich bestellte mir einen Cappuccino, lehnte mich zurück und beobachtete das friedliche Viertelleben.
    Da sah ich den Mann von vorhin wieder. Er trug eine Jeansjacke und eine Cargohose, Turnschuhe und T-Shirt und war vielleicht 19 oder 20 Jahre alt. Er lehnte sich mit dem Rücken an eine Hauswand und hielt in der Hand eine kleine Tüte, aus der er offenbar irgendetwas knabberte. Zwischendurch warf er etwas auf den Boden. Ich schaute genauer hin und dachte nur:
    »Das gibt’s ja nicht.« Denn was er knabberte, war sehr speziell. Der Mann – eindeutig ein Deutscher – hielt in der Hand eine Tüte mit Kürbiskernen, quasi die türkische Nationalknabberei. Und er knabberte sie sogar völlig professionell. Er nahm einen Kern in den Mund und zwar senkrecht, mit der Kante nach oben, nicht waagrecht. Das erkannte man daran, dass die Schale mit einem leisen Knacksgeräusch aufsprang und gleich ausgepustet werden konnte, denn sonst wäre sie an der Zunge kleben geblieben und der Kern wäre nicht herausgeflutscht. Der Mann beherrschte diese Technik so gut, dass es wie im Zeitraffer wirkte, als er die Kerne einen nach dem anderen in den Mund steckte. Zipzipzip, wie ein Hamster oder eben wie ein Türke, zipzipzipzip. Kern raus, Schale weggepustet, Tütenrascheln, nächster Kern, zipzipzipzip. Ich musste lachen. Ich konnte das nicht so gut wie er, weil ich nicht so oft knabbere, wegen des hohen Fettgehaltes der Kerne. Und dieser deutsche Mann hatte sogar schon einen kleinen, weißen Teppich aus Kürbiskernschalen vor seinen Füßen

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