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Zu Hause in Almanya

Zu Hause in Almanya

Titel: Zu Hause in Almanya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aysegül Acevit
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erzählt, dass man sich früher in Deutschland zur Begrüßung die Hand gegeben habe, wobei man gut einen Meter Abstand voneinander hielt – und das nicht etwa nur unter Fremden oder bei formellen Gelegenheiten, sondern sogar unter Freunden und Verwandten! Für die Pioniertürken war das damals sehr befremdlich. Sie herzten und umarmten und küssten sich gerne zur Begrüßung und empfanden die deutsche Art des distanzierten Händeschüttelns als sehr kalt. Aber auch das hat sich im Laufe der Zeit geändert. Ob auf dem Schulhof, in der Kneipe, zu Hause oder wo auch immer – heute begrüßen und verabschieden sich auch Deutsche mit einer warmherzigen Umarmung und freundlichen Küssen auf die Wangen. Menschliche Nähe und Berührung tun schließlich jedem gut.
    Röcke über Hosen zu tragen ist dagegen schon spezieller. Das haben früher in Deutschland nur die türkischen und die orientalischen Frauen gemacht und wurden dafür sehr verächtlich angeschaut. Ich erinnere mich, wie ich einmal so zur Schule ging und mich in Grund und Boden schämte, als mich die Mitschüler und sogar Lehrer auslachten. Heute ziehe ich so etwas wieder an, doch heute lacht niemand mehr, denn heutzutage ist das hip und modern und die deutschen Frauen machen es auch.

    Topmodisch: Die Filmregisseurin Doris Dörrie im Rock-Hose-Look.
    Während ich noch den Kürbiskerneknabberer beobachtete und meinen italienischen Kaffee türkischer Herkunft trank, wurde mir klar, dass auch das Straßencafe, in dem ich saß, keine deutsche Erfindung war. Jedenfalls gab es noch vor 20 Jahren kaum Cafés dieser Art hier, und vor 40 Jahren noch weniger. Es gibt sicher noch eine ganze Menge andere Dinge, die Deutsche von den Fremden, die in ihr Land kamen, übernommen haben, manches bewusst, anderes unbewusst, und wahrscheinlich wird das auch in Zukunft so weitergehen. Ich stelle mir vor, dass man zum Beispiel von den Türken mehr Kinderliebe und Respekt vor alten Menschen übernehmen könnte oder die typische Gastfreundschaft. Dann wäre Deutschland an Gemütlichkeit kaum noch zu übertreffen.
    Alles klar, Kollege
    Erwin war das, was man einen richtigen Malocher nennt. Er konnte gut zupacken, war nicht zimperlich und immer zur Stelle, wenn ein ganzer Kerl gebraucht wurde. Erwin war keiner, der viele Worte machte, mit dem nötigsten verbalen Rüstzeug kam er gut aus. In der Firma, in der er arbeitete, reichte das völlig, denn wichtig war dort, dass man handelte, wenn Handlung nötig war, nicht, dass man große Reden schwang. Erwin war als Bergarbeitersohn in einem kleinen Dorf in Recklinghausen aufgewachsen, und dort in der Nähe hatte er auch die Arbeit in der Stahlfabrik gefunden.
    Diese Firma hatte Anfang der 1960er Jahre wie viele andere auch Arbeiter aus der Türkei und aus anderen Ländern angeworben, und nun hörte man auf dem Werksgelände zwischen dem Surren der Kräne und Transporter, dem Rattern der Stahlrohre und Poltern der Container häufig Namen wie Mustafa, Ahmet oder Antonio. Für die jungen Deutschen, die bis dahin in der Fabrik unter sich gewesen waren, muss es eine schöne Bescherung gewesen sein, als irgendwann immer mehr von diesen jungen Fremdlingen auftauchten, die alle kaum ein Wort Deutsch verstanden. Sie wohnten meistens in den Werkswohnungen oder den Wohnheimen und hatten weder Familien noch Freunde oder Verwandte. Ihr Leben bestand aus Arbeit und haushohen Träumen, die sie sich alle erfüllen wollten, und aus ein bisschen Freundschaft, die sie mit ihren Kollegen pflegten. Das konnte für sie lebenswichtig sein.
    Auf dem Firmengelände wurden tonnenweise Stahlabfälle verarbeitet. Gigantische Rohre und Blöcke, Drähte, so dick wie Baumstämme, Splitter, so groß wie Bierkästen, Container, so groß wie Einfamilienhäuser, vielleicht ein bisschen kleiner. Es war ein ständiges Umherlaufen und Schaffen und Schleppen, und die vielen Arbeiter verrichteten ihre Tätigkeiten, als wären sie Teile im Getriebe eines Motors. Ihren harten Arbeitsalltag lockerten sie mit Scherzen und Albereien auf, mit Gesten und Grimassen, mit Pfiffen und Gesängen, die manchmal die anderen nicht verstanden. Den Türken machte es besonders Spaß, bei der Arbeit Lieder zu trällern, Lieder, die von der Liebe handelten, von der Sehnsucht und vom Leiden. Einer von ihnen galt sogar als der Haus- und Hofsänger, weil er ständig irgendetwas vor sich hin sang. Er hieß Erol, war noch keine zwanzig Jahre alt und dafür berühmt, dass die Frauen auf ihn standen – die

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