Zu Hause in Almanya
angehäuft, weil er sie originalgetreu rücksichtslos auf den Boden warf. »Das ist ja ein Ding«, dachte ich, »da knabbern die Deutschen jetzt schon Kürbiskerne aus der Tüte wie die Türken.« Immerhin sind sie bekömmlich und sehr gesund. Aber ist das eigentlich das Einzige, was Deutsche sich von Türken abgeguckt haben?
Meine Mutter erzählt manchmal davon, als sie Anfang der 1970er Jahre nach Deutschland gekommen war. Sie war noch eine junge Frau, und sie erinnert sich, dass sie anfangs nie habe richtig satt werden können. Nicht, weil es kein Essen gegeben hätte, im Gegenteil, aber es gab nicht die Dinge, die sie zu essen gewohnt war. Es gab keine Auberginen, keine Zucchini, selbst Paprika war kaum bekannt. Es gab keinen Schafskäse, keine Fladenbrote, und Oliven gab es schon gar nicht, außer vielleicht in speziellen Delikatessenläden. Sie sagt, sie brachte sich damals diese Sachen im Koffer aus dem Urlaub in der Türkei mit und ging sehr sparsam damit um. Wenn sie im Garten saß und Oliven gegessen hatte und ihre Kerne dorthin warf, damit sie verrotteten, dann habe der deutsche Nachbar später immer über die riesigen »Mäuseköttel« geschimpft, denn dafür hielt er die schwarzen Kerne. Oliven kannte er nicht.
Wenn wir als Kinder die mit Knoblauch gewürzten Gerichte unserer Mütter gegessen hatten, dann wurden wir oft als Knoblauchfresser gehänselt. Wir nahmen uns deshalb vor, keinen Knoblauch zu essen, wenn wir Kontakt zu Deutschen haben würden, oder erlaubten ihn uns nur am Wochenende, damit sie ja nicht merkten, dass wir uns dem verpönten Genuss hingegeben hatten. Wir schämten uns manchmal dafür, wenn wir wieder einmal nicht hatten widerstehen können. Aber einigen wurde es auch zu viel und sie scherten sich einfach nicht mehr um die deutschen Empfindlichkeiten. »Was verstehen die schon von richtigem Essen«, sagten sie, aßen hemmungslos ihre knoblauchgewürzten Gerichte und brachten den Türken den Ruf ein, nach Knoblauch zu stinken.
Aber wie die Welt sich doch ändert. Heute gilt es praktisch als schick, Knoblauch zu essen. Es zeigt, dass man ein Genießer ist und die mediterrane Küche schätzt. Nicht umsonst sagt man heute verniedlichend Knofi statt Knoblauch, und keiner würden einen deutschen Knofifreund einen Knoblauchfresser nennen. Dieser und all die anderen leckeren Gemüsesorten und noch viel mehr sind für fast alle Deutschen heute selbstverständlich geworden.
Weil man viele der Zutaten der türkischen Küche damals in Deutschland noch nicht kannte und es viel zu mühsam war, sie ständig in Koffern mitzubringen, eröffneten schließlich die ersten Türken kleine Läden mit türkischen Lebensmitteln. Wie müssen die türkischen Eltern und Großeltern damals geschlemmt haben, als diese Läden kamen. Es wurde sicher viel gebrutzelt und gekocht und richtige Gelage veranstaltet, nun, da man all die leckeren Dinge aus der Ferne quasi vor der Haustür hatte, auch wenn man am Anfang oft mehrere Stunden mit dem Auto fahren musste, um einzukaufen, weil es nur wenige Läden gab, die zudem weit weg waren. Und allmählich sah man zwischen den türkischen Kunden immer öfter auch neugierige Deutsche.
Es waren sicher nicht nur die türkischen Gastarbeiter, die dazu beitrugen, dass die mediterranen Köstlichkeiten in Deutschland verbreitet wurden, sondern auch die anderen: Griechen, Italiener und Portugiesen. Aber die Türken waren als größte Gruppe der Motor dafür. Denn bald fand man in fast allen Städten die türkischen Lebensmittelgeschäfte, die heute völlig selbstverständlich geworden sind.
Ein türkischer Döner-Laden in Berlin hat zur Fußball-EM 2008 geflaggt.
Wahrscheinlich ist es auch so mit dem Döner gewesen, der zum ersten Mal 1973 von einem Türken in Berlin verkauft wurde. Wie müssen die Deutschen damals gestaunt haben über die Mischung von am drehenden Spieß gebrutzeltem Fleisch, Salat und Cacik in einem platten Fladenbrot. Heute ist der Döner zusammen mit seiner italienischen Schwester, der Pizza, zum deutschen Lieblingsgericht geworden. Vielleicht war es vor viel längerer Zeit auch so ähnlich mit dem Kaffee der Türken. Der ist heute in italienischer Gestalt als Cappuccino oder Espresso ein deutsches und sogar weltweites Lieblingsgetränk. Wenn man etwas so gerne hat, dass man davon nicht genug bekommen kann, dann übernimmt man es und bürgert es kurzerhand ein.
Und das gilt nicht nur für Essen und Getränke. Meine Mutter, die eine gute Beobachterin ist,
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