Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
ein Strahl des eilig von Wolke zu Wolke segelnden Mondes auf sie fiel.
»Eine gute Nacht zum Bombardieren!« seufzte Darinka.
Das Meer duftete, jäh und heftig. Die Barken begannen zu tanzen, trommelten leise gegen die Pflöcke, an die sie gebunden waren. Wellen jagten hastig bis an die Steinböschung des Hafens heran, schlugen auf sie ein, zerstoben und eilten wieder zurück, um draußen auf dem Meer andere Wellen zu umarmen oder den Mond, der in sie eintauchte.
»Eine schlechte Nacht zum Abschiednehmen!«
Darinka schüttelte wortlos den Kopf und wandte dem stillen Hafen den Rücken zu.
Langsam kehrten sie in die Stadt zurück, in noch engere Gassen, wo schon der Geruch von Menschen den Geruch des Meeres überdeckte. Es war ganz finster. Nur an einer Straßenecke blinzelte eine Lampe durch den blauen Tarnanstrich schläfrig auf das bucklige Pflaster. Ein rostbrauner Kater mit einem weißen Ohr rieb sich faul an ihrem kühlen Pfahl.
»Hier wohne ich«, sagte Michal mit einemmal.
Darinka blieb stehen. »Höchste Zeit, daß Sie wegfahren«, sagte sie mit ihrer hellen Mädchenstimme, »wie kann man überhaupt in einem so häßlichen Haus leben? Jetzt verstehe ich, woher Ihre düsteren Stimmungen kommen.«
Er begleitete sie zu ihrer Straßenbahnhaltestelle. Einmal hatte er sie gefragt, wo sie wohne. »Sehr, sehr weit«, hatte sie damals geantwortet, »allein würden Sie nie dorthin finden. Aber einmal müssen Sie bestimmt zu uns kommen.«
Zu uns? Wohnte sie mit mehreren Menschen zusammen oder nur mit einem einzigen? Hatte sie ihn deshalb noch nie eingeladen, niemals mitgenommen? Auch jetzt war das wohl nur so hingesagt.
Am nächsten Tag begegnete Michal Racek auf dem Weg zur Schiffahrtsgesellschaft Kurt. Er sah anders aus als an jenem Abend im Restaurant. Jünger, unternehmungslustig. Vielleicht rief diesen Eindruck der graue Velourshut hervor, der ihm nachlässig fast im Nacken saß, oder die kühn gestreifte, über dem Pullover baumelnde Krawatte. Auch der fröhliche, beinahe ein wenig ausgelassene Ausdruck in den Augen war auffallend.
»Bonjour, mon ami«, begrüßte er Michal. »Guten Tag, mein Freund. Darf ich Sie beglückwünschen? Ich höre, Sie lichten die Anker.«
»Danke, aber wünschen Sie mir lieber etwas Gutes. Ich weiß nicht warum, aber ich habe überhaupt nicht das Gefühl, daß mich ein großes Glück erreicht hat.«
»Wissen Sie, wie Sie mir vorkommen?« fiel ihm Kurt fröhlich ins Wort. »Wie jener Mann, der verbissen einer schönen Frau nachstellt, die ihn immer wieder abweist. Eraber sehnt sich nach ihr und gibt nicht nach. Als sie ihn dann schließlich anlacht, als sie ihn sogar erhört, hat unser Mann keine Freude mehr daran. Die ist ihm bei dem langen Warten verlorengegangen. Ist es nicht auch ein bißchen so mit Ihnen und mylady America?«
»Sie machen sich über mich lustig.«
»Wieso? Weil ich es nicht als ein Unglück ansehe, daß endlich gelungen ist, worum Sie sich so lange bemüht haben?«
»Und Sie, Kurt, Sie wären an meiner Stelle glücklich?«
»Das weiß ich nicht. Das würde von vielerlei Umständen abhängen. Wenn ich eine Aufgabe vor mir hätte, ein festes Ziel ...«
»Was seid ihr nur für Menschen! Darinka genauso wie Sie. Ich bin doch kein Kind. Ich weiß doch, daß ihr bis zum Hals in Gefahr steckt, aber man könnte glauben, daß ihr alle Sicherheit und alle Ruhe auf dieser Welt für euch gepachtet habt. Als ob euch nichts geschehen könnte, als ob das Leben gerade jetzt wer weiß wie herrlich und gut wäre!«
Als Antwort auf diesen Ausbruch faßte Kurt den jungen Arzt unter und sagte ihm auf der übervölkerten Cannebière, wo zwischen nervösen Flüchtlingen Spitzel und Erpresser aller Schattierungen herumschnüffelten:
»Wir hassen Krieg und Faschismus und wollen beides nicht dulden, koste es, was es koste. Das Leben ist für uns immer gut, weil wir ihm einen Sinn gegeben haben.«
Das verschlug Michal Racek den Atem.
»Sie wundern sich?« fuhr Kurt fort. »Dabei kennen Sie diese Art von Menschen bestimmt aus der Literatur. Konnten Sie sich nicht vorstellen, daß sie auf der Straße herumlaufen, daß auch so eine kleine Person wie Darinka zu diesem Schlag gehört oder daß sich unsereins manchmal sogar eine neue Krawatte kaufen muß? – Sind Sie in Eile? Nein? Dann lassen Sie sich von mir zu einem Aperitif einladen. Mittlerweile ist es zwölf Uhr, und jeder richtige Franzose weiß, was sich zu dieser Stunde gehört.«
Er steuerte mit dem verwirrten
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