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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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Racek ist bereit, uns ein wenig zu helfen, nicht wahr, Michal?«
    Dr. Racek war nicht engherzig. Aber daß Darinka gerade einem Deutschen seine Hilfe antrug, war ihm doch ein bißchen unangenehm. Er wollte ja ihr helfen, vielleicht auch den eigenen Leuten.
    Der Mann namens Kurt wurde ernst. Er richtete seine gescheiten Augen auf den jungen Arzt, als ob er ihn erst jetzt richtig wahrnähme.
    »Darinka und ich kennen einander schon eine ganz ansehnliche Reihe von Jahren«, sagte er. »Drei davon habe ich in Ihrem schönen Prag gelebt. Damals hat sie uns deutschen Antifaschisten sehr geholfen. Jetzt geht es uns allen gleich, und wir helfen einander gegenseitig. Deshalb hat Sie Darinka auch zu mir gebracht.«
    Konnte der Mann Gedanken lesen? Michal ahnte ja bloß, daß neben der gequälten Welt, in der er sich bisher im Kreis bewegte, neben der Welt des Schlangestehens und der Wartezimmer, noch eine andere bestand, von deren Existenz er zwar wußte, aber nur nebelhaft wie von etwas, das einen nichts angeht.
    »Sie sind Arzt, Herr Doktor?«
    »Ja. Ich bin Internist, oder besser gesagt, ich hoffe, es wieder einmal zu werden.«
    »Daran müssen Sie gar nicht zweifeln. Niemand von uns wird ewig Emigrant bleiben.«
    Darinka war ganz still. Michal Racek wurde langsam bewußt, daß sie sich in Gegenwart dieses Kurt wahrscheinlich ruhig und sicher fühlte. Sie war ihm bisher noch nie so anziehend erschienen. Das machte nicht nur die hellblaue Bluse. Ohne die abwehrende Härte und den Anschein von Sicherheit um jeden Preis wirkte sie noch mädchenhafter.
    »Hast du Hans gesehen?« fragte Kurt.
    »Ja. Es geht ihm ganz gut. Er hat kein Fieber mehr, und die Schmerzen im Rücken lassen langsam nach. Er ist nur schrecklich nervös.«
    »Einer von Ihren Freunden ist krank? Vielleicht könnte ich ihm helfen.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Doktor, aber in diesem Fall ist es zum Glück nicht mehr notwendig. Alles ist fertig, Darinka, Hans fährt nächste Woche ab. Inzwischen könntest du ihm nochmals ein paar Zeitungen bringen, damit er etwas zu tun hat, ehe es soweit ist. Wir haben gerade einige aus der Schweiz bekommen.«
    Sie brauchen ihn nicht. Selbstverständlich. Können sie denn einem fremden Menschen vertrauen?
    »Mach ich, aber nicht vor Donnerstag. Wir haben neue Ausbrecher aus den Lagern, Kurt, und nicht genug Quartiere. Ich renne deshalb den ganzen Tag herum. Im Tschechoslowakischen Hilfszentrum wollen sie uns für die Neuen keine Unterstützung geben, solange sie keine Papiere haben. Das sind endlose Diskussionen.«
    »Du schaffst das schon, sei nur vorsichtig, ma petite. Am Dienstag mußt du dich mit Gaston treffen, er hat mich heute darum gebeten. Aber sieh dich vor, in den letzten Tagen sind die Polizeistreifen verstärkt worden, und in Marseille treiben sich ein paar nicht näher identifizierte Individuen herum. Du solltest nicht immer allein durch die Gegend laufen.«
    Kurt sprach zu Darinka und sah dabei Michal Racek an. Unter diesem Blick faßte der endlich einen Entschluß.
    »Vielleicht könnte ich Darinka begleiten«, sagte er und kam sich dabei wie ein kleiner Junge vor, der die Anerkennung eines bewunderten Lehrers zu gewinnen versucht. »Im Zentrum kennt man mich, und auf der Straße fällt ein Paar sicher weniger auf als ein einzeln herumstreifendes Mädchen.«
    »Prima!« rief Kurt erfreut aus, als wäre ihm etwas Derartiges überhaupt nicht in den Sinn gekommen. »Damit nehmen Sie uns eine richtige Sorge ab. Sie haben Darinkas Vertrauen gewonnen und also auch das unsere. Ihre Abreise darf natürlich durch nichts gefährdet werden. Wenn Sie jedoch inzwischen mitunter Darinkas Beschützer sein wollen, werden wir Ihnen alle dankbar sein. Sie nimmt gern etwas mehr auf sich, als ihr zukommt, und macht das so geschickt, daß wir es meistens erst erkennen, wenn schon alles vorbei ist.«
    »Laß das, Kurt, sonst werde ich böse.«
    »Ich muß ihm doch sagen, wie du bist, wenn er deinen Kavalier spielen will, nicht wahr, Herr Doktor?« Kurt legte seinen Arm um Darinkas Schultern, und Michal begriff, daß die leichthin gesagten Worte eine wirkliche Sorge um das Mädchen verbargen.
    Als Dr. Racek an jenem Abend zu später Stunde ins Bett ging, nahm er weder die Häßlichkeit des Zimmers noch das geflüsterte Gespräch von nebenan wahr. Zu viele Eindrücke beschäftigten ihn: Darinka, die unerwartet und heftig in sein Leben eingedrungen war, ihre zweite Welt, wie er das nannte, in die sie ihn heute zum

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