Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
Käsekuchen verführerisch duftete. Als sie Kaffee bestellte, mischte sich noch sein langentbehrtes herbes Aroma dazu. Es dauerte einige Minuten, ehe zwei Tassen mit dem frischen heißen Getränk gefüllt werden konnten.
Wird der Mann noch da sein, oder wird sie nur mehr die Sonnenbrille auf dem Tischchen finden, überlegte sie unruhig. Eigentlich hatte sie ihn doch gezwungen mitzukommen,und er hatte es bloß nicht gewagt, ihre Bitte abzuschlagen. Sehr fair hat sie nicht gerade gehandelt – oder war alles ganz anders, und er empfand ihr Vorgehen als taktlos, als unangenehme Zudringlichkeit? Jetzt fühlte sie sich ganz schön unsicher.
Als sie mit den dampfenden Kaffeetassen und zwei beladenen Kuchentellern in der Tür erschien, erhob sich der Mann, ging ihr zu ihrer Überraschung entgegen und nahm ihr die Teller ab. Zum erstenmal wandte er dabei sein Gesicht nicht zur Seite. Erst als sie sich niedersetzten, rückte er seinen Korbstuhl wieder so zurecht, daß sie seine normale Gesichtshälfte neben sich hatte.
»Greifen Sie zu«, forderte ihn Hanna auf, glücklich, daß er nicht davongelaufen war, »hoffentlich schmecken die Kuchen so gut, wie sie aussehen. – Sind Sie zum erstenmal zur Kur hier, Herr Pokorny?«
»Ja. Das heißt, hier. Zur Kur war ich schon wiederholt. Ganz sinnlos.«
»Ich mußte herkommen, weil mich mein Herz ein wenig im Stich gelassen hat«, sagte Hanna. »War vorher noch nie an so einem Ort. Was sind Ihre Beschwerden?«
Er hob verblüfft den wie immer gesenkten Kopf, richtete das Auge und die beinahe leere Augenhöhle auf sie und erklärte fast unwirsch: »Das sieht man doch: verkrüppelt, ein halbes Gesicht, kaputte Nerven. Nur die können vielleicht ein bißchen repariert werden. Hat aber sowieso keinen Sinn.«
Auf der ungepflasterten Straße fuhr langsam ein Auto heran und hielt vor der Konditorei. Eine Krankenschwester und seine Frau zerrten den fast völlig gelähmten Mann geradezu aus dem Wagen. Gestützt auf die beiden, legte er mühsam die wenigen Schritte bis zum nächststehenden Tischchen zurück.
»Und der dort?« fragte Hanna leise. »Der sich nicht bewegen und auch nicht sprechen kann?«
Rudolf Pokorny schaute vor sich hin, rührte in seiner Tasse, hob den Kopf nicht und murmelte:
»Was wollen Sie von mir? Warum kümmern Sie sich um mich? Im allgemeinen weichen mir die Leute aus, mein Anblick widert sie an. Manchmal sagen sie es auch ganz laut.«
Hanna lehnte sich zurück und blickte in das dunstige Blau über der Wiese am Ende des Weges. Sie schwieg einen Augenblick, ehe sie sagte:
»Ich bin Jüdin.«
Der Mann zuckte zusammen, hob nun den Kopf, richtete seine beiden Augen auf sie, das geschundene und das gesunde, und stieß ratlos hervor:
»Warum sagen Sie mir das?«
»Damit Sie mir glauben, daß ich weiß, was Unglück ist, auch daß man es allein fast nicht ertragen kann. Menschen brauchen Mitmenschen. – Ich habe mir dazu noch einen Hausengel angeschafft.«
»Einen was?«
In diesem Moment stieß der fast völlig gelähmte Mann ein paar gutturale Laute hervor, die in der sonnigen Stille wie das Krächzen eines verwundeten Vogels klangen. Seine Frau und die Krankenschwester konnten ihn offenbar verstehen, lachten sogar ein wenig.
»Er versucht zu sprechen«, in Hannas Stimme schwang Bewunderung.
»Einen Hausengel kann übrigens jeder haben. Er ist eine Stütze, die man in sich selbst aufbaut.«
Rudolf Pokorny starrte in seine Kaffeetasse. Er wollte verstehen, was die Frau da sagte, aber so hatte noch nie jemand mit ihm gesprochen. Erst ihre sonderbare Mitteilung, daß sie Jüdin ist, davon redet doch sonst niemand. Und jetzt noch diese Geschichte von einem Hausengel.
»Ich weiß nicht«, er rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Solche Reden sind nichts für mich.« Er legte eine Pause ein und fuhr dann zu seiner eigenen Überraschung fort: »Als mir der Unfall in der Fabrik passiert ist, hat mir niemand geholfen. Viele haben weggeschaut, sind davongelaufen. Auch später war es meistens ähnlich. DieLeute machen oft Bemerkungen, garstige, daß ich mich nicht zeigen sollte und so.«
Nach diesen langen Sätzen verstummte er, seufzte und fügte dann noch hinzu: »Sie sind schön. Aber wenn Sie, verzeihen Sie, wenn Sie Jüdin sind, dann begreifen Sie vielleicht, wovon ich rede. So etwas sagt ja auch nicht jeder nur so von sich.«
Jetzt schwieg Hanna, sah mit einemmal wieder die auf dem Jerusalemer Spielplatz still dastehenden Kinder vor sich, hätte
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