Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
Vom Netzwerk:
dem unglücklichen Mann gern auch davon erzählt, brachte es aber nicht fertig. So legte sie nur ihre Hand auf den Ärmel seiner Jacke.
    »Ich wollte Ihnen damit bloß zu verstehen geben, warum ich weiß, was Unglück ist und Ungerechtigkeit und böse Dummheit. Sie hat es schwer getroffen, aber damit sind Sie doch nicht schlechter, nicht weniger Mensch geworden. Ich und meinesgleichen, wir bekommen ungeachtet des furchtbaren Geschehens im letzten großen Krieg immer noch Empörendes zu hören. Schlecht sind, die so etwas sagen, nicht die, gegen die es gerichtet ist.«
    Der Mann mit dem halben Gesicht stützte auf einmal seinen Kopf in beide Hände, schüttelte sich ein wenig und bemerkte dann verwundert: »Der Kuchen war sehr gut, schon lange hat mir nichts so geschmeckt. Und wie wir miteinander reden, das ist, ich weiß nicht, das ist so, als ob es in mir plötzlich ganz hell geworden wäre. Bleiben Sie gesund, liebe Frau, und hören Sie weg, wenn jemand giftigen Unsinn verzapft. Ich ... ich gehe jetzt. Auf Wiedersehen.«
    Er stand langsam auf, verneigte sich ungeschickt, stieß dabei fast seinen Korbstuhl um und schlurfte, ohne sich umzusehen, zwischen den Tischchen davon.
    Hanna blickte ihm besorgt nach. War es ihr gelungen, ihn wenigstens ein klein wenig aus seiner Niedergeschlagenheit zu lösen, oder hat sie ihn nur noch mehr beunruhigt? Wäre es nicht gescheiter gewesen, ihn in Frieden zu lassen, vielleicht nur mit einem freundlichen Gruß zu erfreuen? Mußte sie ihn auch noch mit ihrem Hausengel verwirren?
    Einige Tage später begegnete sie beim abendlichen Spaziergang im Kurpark der einstigen Postbotin, die dort, nur mehr auf eine Krücke gestützt, langsam auf und ab promenierte. Auf dem Rasen vor ihnen ragten drei mächtige Nadelbäume hoch in den Himmel.
    »Haben Sie das auch schon ausprobiert?« fragte die Frau Hanna.
    »Ausprobiert? Was denn?«
    »Es heißt, man soll die Stämme dieser Bäume ganz fest umfangen, damit ihre Energie und Kraft in unsere ramponierten Körper übergeht. Schauen Sie schnell hin, gerade versucht das jemand.« Hanna blickte hin und erkannte zu ihrer Verblüffung die Dame im himmelblauen Kleid, die sich in sonderbarer Umarmung so kräftig an die rissige Baumrinde anschmiegte, daß die Sonnenblume an delikater Stelle dabei wie auf Meereswogen hin und her schwankte.
    »Das wird ja eine tolle Portion Energie geben«, die einstige Postbotin lachte, »fast zuviel für einen Kuraufenthalt. Sollten wir es nicht auch versuchen? Gestern beim Wirbelbad zeigten Sie ein ganz müdes Gesicht. Also los, holen Sie sich eine Zulage Energie von der Mutter Natur.«
    »Nein, danke«, auch Hanna mußte lachen, »ich glaube, ich komme ganz gut mit der mir zugedachten Dosis aus. Wenn etwas fehlt, steuert es mir mein Hausengel bei.«
    »Sie haben einen Hausengel? Jede Woche oder nur einmal im Monat?«
    »Nein, nein. Damit meine ich keine Hausgehilfin, das ist so eine Einrichtung in mir selbst.«
    »Sie sind eine Träumerin, das habe ich schon bald gemerkt. Kommt Sie auch billiger als ein Hausgeist. Es ist unwahrscheinlich, was heute für eine Hilfe im Haushalt verlangt wird.«
    Die Dame in Himmelblau beendete ihre Baumanbetung und eilte grußlos an den beiden Frauen vorbei.
    »Der würde auch ein ganzer Urwald nichts nützen«, bemerkte die einstige Postbotin trocken, »selbst wenn sie rundum mit Sonnenblumen bedeckt wäre. Gestern hat siedem armen Mann, Sie wissen schon, wen ich meine, die Tür des Aufzugs vor der Nase zugeschlagen. Kann angeblich so einen Anblick nicht ertragen.«
    »Die soll beim Fernsehen sein«, hatte man Hanna einmal beim Mittagessen zugeflüstert, als die Blondine an ihrem Tisch vorbeirauschte. Das klang beinahe ehrfürchtig und sogar ein bißchen wie eine Erklärung, wenn nicht gar Entschuldigung für ihr auffallendes Auftreten. Aber die Bemerkung der Postbotin hatte Hanna einen Stich ins Herz versetzt. Rudolf Pokorny war also auch hier elender Gefühllosigkeit ausgesetzt.
    Die für den Kuraufenthalt bemessene Zeit verging schneller, als Hanna befürchtet hatte. Man eilte von Prozedur zu Prozedur, mußte pünktlich zu den Mahlzeiten erscheinen und gewöhnte sich, ohne es groß zu merken, an die tägliche Routine.
    An einem der ersten Sonntage im Sanatorium gab es für sie allerdings eine Überraschung. Zum Frühstück erschien der weibliche Teil der Gäste in feierlich eleganter Aufmachung im Speisesaal, auch der männliche trug statt der üblichen sportlichen Kurzhosen und

Weitere Kostenlose Bücher