Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
doch um religiöse Streitigkeiten wenig gekümmert und hätte bei diesen Bergbewohnern am wenigsten vermutet, auf solche zu stoßen ... Aber der Sohn des Marabuts war so in Erregung geraten, dass er lauter, als es die Vorsicht zuließ, rief: »Nur ein Heiliger kann Imam sein. Nicht Ali, nicht Muawija, kein Omaijade, kein Abbaside, kein Fatimide. Denn sie alle berufen sich auf ihre fleischliche Abstammung, aber der wahre Imam stammt dem Geiste nach vom Propheten ab!«
O Jachja ben Jezid, hättest du gedacht, dass in diesen Bergen, in diesen Wäldern, in diesen Wüsten dein Geist lebt? Deine Gedanken in den Köpfen dieser Menschen spuken und so unheilvolle Folgerungen heraufbeschwören?
Ehe Welid antworten konnte, legte sich eine Hand auf Mamars Mund. »Sprich nicht so laut«, flüsterte eine heisere Stimme, »man könnte dich hören.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, und die Karawane ahnte nichts von den Männern und Tieren, die nahe der Straße, in einer Senke verborgen, über die sich der Staub in breiten Schwaden hinzog, ihnen zum Verhängnis werden konnte.
In Welids Innerem aber war eine Saite angeschlagen worden, die nicht zum Verstummen gebracht werden konnte. Hatte nicht Abu Hafs, das Vorbild seiner Kinderjahre, ihm Recht und Gerechtigkeit immer wieder vor die Augen gestellt? Und Jachja die Sehnsucht in ihm entzündet, sie durch einen wahren Imam verwirklicht zu sehen? Hatte sich nicht am Wesen des Milchbruders, seinem überragenden Geist, seiner Fähigkeit, ins Herz der Dinge zu blicken und das Wichtige vom Unwichtigen, das Notwendige vom Überflüssigen zu unterscheiden, seine Hoffnung angeklammert, ihn zum Erfüllen aller dieser Träume aufsteigen zu sehen? Doch der Stern, dem er nachgegangen war, hatte sich als ein Irrlicht enthüllt, und er musste sich als Straßenräuber im Staube wiederfinden. Aber waren die Männer, die ihre Frauen und Kinder nicht anders als durch Raub vor dem Hungertod bewahren konnten, vor Allah, dem Gerechtesten, der Ursachen und Beweggründe aller Taten kennt und abwägt, wirklich verdammenswerter als einer, der seinen Überfluss und seine Machtfülle durch Kriege vermehrt?
Und er, Welid, sollte sich dagegen sträuben, seinen Wohltätern, die ihn vom Tode errettet, die ihm Gastfreundschaft erwiesen, die ihm eine ihrer Töchter zugedacht hatten, im Kampf gegen Not und Elend beizustehn? Gibt es denn einen Menschen, der niemals, wenn er eine gerechte Tat begeht, gleichzeitig jemandem Unrecht tut? Doch weil dem so ist, Allah, du Einziger, werfen wir uns in den Abgrund deiner Barmherzigkeit. Das Gute, das wir tun, ist des Rühmens nicht wert, und dem, der sich seiner Erbärmlichkeit bewusst wird, schenkst du dein Erbarmen. So schenke es denen, die ich töten muss, so wie dem, der mich vielleicht tötet. Denn ich kann meine Freunde nicht im Stich lassen.
Das Schweigen der im Staube verharrenden Wegelagerer dauerte lange. So lange, bis sich die Leute der vorüberziehenden Karawane, das Trappeln der Hufe, das Schnauben der Kamele, das Wiehern der Pferde, die Rufe der Treiber verloren hatten. Nachdem der letzte weithin hallende, lang hingezogene Eselsruf verklungen war, legte sich die Stille beklemmend auf die Lauernden. Laut ist das Leben; der Tod schleicht sich stumm heran.
Aber nein. Niemand hatte sie entdeckt, niemand schlich sich heran. Sie schüttelten sich den Staub von den Kleidern.
Und dann endlich die Stimme des Heiseren. »Hast du gezählt, Mamar? Es waren über hundert bewaffnete Reiter. Die Stallknechte, Esel- und Kameltreiber nicht mitgerechnet. Und ihre Pferde stehen den unsern nicht nach.«
Mamar schwieg.
Hoffnung stieg in Welid auf. Vielleicht scheuten sie doch einen Angriff, dachte er. Aber dann wurde er sich bewusst, dass damit nichts gewonnen wäre, und seine Hand krampfte sich um den Dolchgriff, als müsste er sich daran festhalten.
Nach langem Nachdenken sagte Mamar: »Wir müssen sie im Schlaf überrumpeln.«
Doch der Heisere antwortete: »Ich weiß etwas Besseres! Wir reiten in weitem Bogen um sie herum, wobei wir möglichst viel Staub aufwirbeln, den sie in der Ferne beobachten werden. Dann reiten zwei von uns auf sie zu, sagen, dass sie sich auf der Flucht vor wilden Berberstämmen befeinden, die die Gegend unsicher machten, und dass es geraten wäre, nach Süden auszuweichen. Und zwei andere, die ihnen kurz darauf begegnen, bieten sich ihnen als kundige Führer an. So lockt man sie in die Wüste und lässt sie verdursten. Dann kostet die Beute keinen
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