Zu seinen Füßen Cordoba: Historischer Roman (German Edition)
Oder nur noch einen Absturz?
Während Welids Gedanken übers Meer schweiften, erzählte Hairan: »Eines Tages hatte sich auf dem Wege von Thesa nach Debdu mit dem Südostwind ein Nebel eingestellt, der uns durch sein sonderbares Aussehen großen Schrecken einjagte. Der Horizont leuchtete wie eine Feuerflamme. Ein roter Streifen umgab uns von allen Seiten und ging in einen zitronengelben Schein über, der den Himmel bis zum Zenit ausfüllte. Die Sonnenscheibe sah so matt und glanzlos aus, als wäre sie aus weißem Papier an den Himmel geklebt, und die Hitze benahm uns fast den Atem.«
»Ich kenne das.« Welid zwang sich, auf das Gespräch einzugehn, obwohl er nur mit halbem Ohr zugehört hatte. »Es ist der Samum, der vom Gebirge abgehalten wird.« Und während er sprach, sah er plötzlich vor dem zitronenfahlen Himmel eine Gestalt, sich ausdehnend, steigend, bis sie die gipsfarbene Sonnenscheibe erreicht hatte, an der sie sich mit beiden Händen krampfhaft festhielt, während ihre Füße über dem Abgrund schwebten.
Abu Amir Muhammad ben Abdallah - lebst du noch? Oder hast du deinen Tod gefunden?
Hättest du ihn gefunden, könnte ich heimkehren. Zu Romeileh. Zu Hani. Zu Marjam. Als Sänger ohne Stimme, als ehemaliger Günstling eines Gestürzten hätte ich es freilich schwer, mich durchs Leben zu schlagen - aber selbst wenn ich mich als Eseltreiber verdingen müsste: Meine Füße träten wieder auf gepflasterte Straßen! Wo gibt es die sonst noch, außer in Cordoba?
Aber wärest du tot, müsste ich auch meine Hoffnung begraben. Auf Versöhnung, Bruder!
Nun musste Welid doch endlich seinem bohrenden Fragen ein Ende machen.
»Unser Kalif - Hischam al Muajjad billah (Allah gebe ihm Gesundheit und ein langes Leben!) - hat doch wohl immer noch Abu Amir Muhammad zum Großwesir - oder schenkt er einem ändern seine Gunst?«
Die beiden Cordobaner sahen sich an. Hairan beeilte sich, Mudschahid zuvorzukommen. Er sagte: »Wie sollte der Kalif demjenigen seine Gunst entziehen, der ihn vor allen Nachstellungen so kraftvoll beschützt und ihm nun noch das schönste Mädchen, das sich in Cordoba finden ließ, als Gattin zugesellt hat?«
»Und wer ist diese auserlesene Schönheit?«
»Marjam heißt sie. Und ist die Milchschwester des Großwesirs.«
An diesen Worten schluckte Welid wie an einem Stein. ›Ausgeliefert die Schwester!‹ dachte er. ›Einem Knaben ins Bett gelegt, der um Jahre jünger ist als sie selber. Den sie zu unterweisen hat in der Liebeskunst, damit er sie an denen ausüben kann, die Marjam verdrängen. Und verdrängt werden wird sie bald. Denn nicht müde wird Abu Amir werden, seinem Schützling die schönsten Mädchen zuzuführen, um ihn in Wollust zu ertränken und zu jedem Aufbegehren gegen seine Bevormundung unfähig zu machen.
Wozu hat man dich erniedrigt, Marjam, Schwester!‹
Die Bitterkeit wollte Welid betäuben, und nur von Weitem hörte er Mudschahids Stimme - eine scharfe, vom Alter noch nicht in ihrem Vollklang beeinträchtigte Stimme: »Wie soll der Kalif dem seine Gunst entziehen können, der ihm einen goldenen Käfig gebaut hat und jeden, der ihn daraus befreien will, in Stücke haut?«
»In Stücke haut? Wen meinst du damit?« Fast ohne Atem stieß Welid diese Frage hervor.
»Nun, Ghalib - unter anderen.«
»Seinen eigenen Schwiegervater?«
»Ihn.«
»Ghalib ist selbst daran schuld!« rief Hairan erregt. »Er hat seinen Eidam beschimpft und, als er ihm eines Tages auf dem Turm einer Grenzfestung begegnete, tätlich angegriffen, und das so völlig unvorbereitet, dass Abu Amir nicht einmal Zeit hatte, sein Schwert zu ziehen, und von der Brüstung, in die Tiefe sprang - aber Allah sandte ihm seine Engel zu Hilfe und er kam mit dem Leben davon.«
»Wie sollte Ghalib auf seinen Schwiegersohn nicht wütend sein? Hat dieser nicht, ohne den Feldherrn zu fragen, das Heer umgestaltet, Männer aus aller Herrn Länder in Sold genommen, sogar Christen in großer Zahl, denen er dazu noch vor den Moslems den Vorrang gibt? Der Sonntag ist zum Ruhetag für alle Soldaten des Heeres erklärt worden - sagt dir das nichts? Und hat er nicht sogar die Stammeseinteilung der arabischen Truppen abgeschafft und die Araber den verschiedenen Regimentern einreihen lassen ohne Rücksicht auf den Stamm, dem sie angehören? Damit hat er uns, die wir die Nachkommen der Eroberer des Landes sind, die letzten Trümmer unserer Macht geraubt, und Ghalib, einer unserer besten Männer, sollte das widerspruchslos
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