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Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Titel: Zu zweit tut das Herz nur halb so weh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kibler
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der
Straße stand eine Gruppe rauchender und plaudernder junger Männer. Kleinere
Jungen warteten, die Hände in den Taschen vergraben, in der Nähe auf den Tag,
an dem die Großen sie zu sich bitten würden. Ich ging schneller, den Kopf
gesenkt und die Mütze meines Bruders tief in die Stirn gezogen, und atmete erst
wieder ruhiger, als ich an ihnen vorbei war. An der Ortsgrenze schlug ich
wütend mit der flachen Hand gegen das hässliche Schild.
    In der Ferne leuchteten Glühwürmchen, als wollten sie mir den Weg
weisen.
    Ich hörte die Stimme des Predigers und die rhythmischen Antworten
der Gemeinde, lange bevor ich sie sah, und wurde unsicher, weil ich mich nicht
einfach in die Laube ducken und mich der Gemeinde anschließen konnte, egal, was
auf dem Schild vor der Kirche stand. Was für einen Aufruhr hätte ich, ein
weißes Mädchen in der viel zu großen Hose ihres Bruders, verursacht!
    Also schlich ich um die Kirche herum und ließ den Blick auf der
Suche nach vertrauten Gesichtern über die Anwesenden wandern. Von den meisten
konnte ich bloß den Rücken sehen, weil sie zu dem Prediger schauten; nur zehn
oder fünfzehn Personen saßen in den Bänken hinter ihm. In dem improvisierten Chorgestühl
erkannte ich Nell. Sie hing an den Lippen des Predigers und reagierte mit
Nicken, Amen-Rufen, Hallelujahs und Sätzen, die ich aus der Ferne nicht
verstehen konnte. Der Prediger war jünger, als ich erwartet hatte – nur ein
paar Jahre älter als Nell –, und sah ziemlich gut aus.
    Ich lehnte mich gegen die verwitterten Schindeln der Kirche. Voller
Schrecken merkte ich, dass auf einem Baumstumpf kaum drei Meter von mir
entfernt eine junge Frau saß, die ein Baby an den Körper gepresst hielt. In
einer kurzen Pause zwischen den Liedern und Gebeten hörte ich, wie es an der
Mutterbrust saugte. Ich hatte einen sehr intimen Moment gestört. Die Frau sah
mich verwundert und auch ein wenig beunruhigt an. Ein junger weißer Mann, der
sich im Schatten einer Negerkirche herumtrieb, war nicht nur ungewöhnlich,
sondern auch potenziell gefährlich.
    Ich schluckte. Wie konnte ich sie beruhigen, ohne aufzufallen?
»Keine Angst«, flüsterte ich.
    Sie drückte das Kind fester an sich. Als ich mich ihr näherte, wich
sie zurück. »Tun Sie meinem Kind nichts. Bitte.«
    Â»Keine Sorge, ich tue niemandem was. Ich bin wegen der Feier hier
wie Sie.« Ich zog die Mütze vom Kopf und beugte mich zu ihr hinunter, um das
Kind genauer zu betrachten. Die Frau beeilte sich, ihre Brust zu bedecken. Dass
Frauen ihre Babys stillten, hatte ich zwar schon gehört, aber noch nie mit
eigenen Augen gesehen. Ich kannte ja nicht einmal die nackte Brust meiner
eigenen Mutter.
    Â»Was für ein hübsches Baby.«
    Â»Ach, Sie sind ein Mädchen«, stellte die Frau erleichtert fest. »Wie
meine Kleine hier.« Sie hob das Baby stolz hoch und wischte ihm den Mund ab.
    Ich ahnte, was sie mich gleich fragen würde.
    Â»Was machen Sie hier? Sie sagen, Sie sind wegen der Feier gekommen …« Sie schüttelte den Kopf.
    Ich suchte nach einer passenden Antwort. »Auf dem Schild draußen
steht: ›Jedermann willkommen‹.«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ja, stimmt. Aber soweit ich weiß, hat
das bis jetzt noch niemand beim Wort genommen.«
    Ich holte tief Luft. »Das Mädchen vorn im Chor. Links, in dem
rosafarbenen Kleid.«
    Â»Nell Prewitt?«
    Â»Ja, Nell. Sie arbeitet für meine Familie und hat mir erzählt, dass
sie heute Abend singt. Ich möchte sie hören.« Den eigentlichen Grund, dass ich
Robert sehen, vielleicht mit ihm sprechen wollte, verschwieg ich ihr.
    Die Frau nickte. »Da sind Sie genau richtig gekommen. Sie ist gleich
dran.«
    Â»Kennen Sie Cora, Nells Mutter? Und ihren Bruder?«
    Â»Natürlich. Sämtliche Prewitts besuchen diese Kirche. Wir alle
werden hier getauft, heiraten hier und werden auch hier begraben. Ihre Familie,
meine und viele andere.«
    Â»Haben Sie heute Abend jemanden von ihnen gesehen? Cora zum
Beispiel?« Ich schwieg kurz. »Oder Robert?«
    Â»Cora ist da vorn in der ersten Reihe, mit Albert, Roberts und Nells
Daddy.« Sie lächelte. »Robert sitzt entweder bei den Jungs hinten oder erledigt
was für den Prediger. Er ist ein guter Junge, also hilft er wahrscheinlich
Bruder James. Wenn ich mich nicht ganz täusche, werden sie bald

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