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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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alles, was an Informationen verfügbar ist, unermüdlich auflesen, sortieren, analysieren und in die richtigen Zusammenhänge bringen. Martin Hanser beobachte und studiere ich seit dem Augenblick der Erkenntnis. Ich nenne ihn so, weil sich in jener Nacht in mir ein bis dahin sinnloses in ein sinnvolles Leben verwandelt hat. Es war während eines jener ereignislosen Rundgänge, die ich Nacht für Nacht tun muss, um stumme, kalte, von Menschen verlassene Gebäude zu bewachen. Der Nachtwächter – oder „Security-Mann“, wie man ihn heutzutage hochtrabend nennt – ist in Wahrheit ein Ausgestoßener. Die Gesellschaft, die er zu bewachen hat, schläft, während er arbeitet, und wenn die Gesellschaft arbeitet, schläft ihr Nachtwächter. Ich war früher Polizist, ein guter Polizist, und es war Martin Hanser, der mich zu den demütigenden nächtlichen Rundgängen verdammt hat. Anfangs habe ich darunter gelitten wie ein Hund. Die viele leere Zeit, das endlose Grübeln, das quälende Selbstmitleid. Und die ständige Frage nach dem Warum. Zum Glück gibt es die halbe Stunde mit Josie. Auch eine Ausgestoßene, die zweimal pro Woche nach ihrem Dienst in der Eros-Bar auf meinen Parkplatz kommt. Damals, als ich noch bei der Polizei war, hatte ich sie auf einem anderen Parkplatz im Auto eines fetten Deutschen erwischt und festgenommen. Jetzt reden wir nicht mehr darüber und sie kommt zu meinem. Anfangs hat sie noch 50 Euro dafür verlangt, jetzt macht sie es gratis. Manchmal reden wir auch nur. Josie hat indirekt etwas mit dem Augenblick der Erkenntnis zu tun. Sie hatte mir zuvor von den Problemen erzählt, die sie mit ihrem Zuhälter hätte. Dass sie ihren gesamten Verdienst abliefern müsse, weil er das Zimmer, in dem sie es mit ihren Kunden treiben muss, bezahlt. Sie wird von ihm mit Almosen abgespeist. In dieser Nacht hatte sie nur einen Freier gehabt, der »Beschützer hatte es ihr aber nicht geglaubt und sie ordentlich verprügelt. Sie wollte sich nicht wehren, weil sie Polin und illegal im Land ist und außer ihm niemanden hat, der sich um sie kümmert. Auch ich, der Gratis-Kunde und Fast-Freund, war machtlos. Als Josie in ihrem klapprigen Fiesta davongefahren war, spürte ich plötzlich eine Wut, die ich bisher nicht gekannt hatte. Es war noch Nacht, aber um die Konturen der Häuser begann sich ein grauer werdender Schleier zu weben. Dort unten, im All, lauerte die Sonne und die Erde drehte sich ihr entgegen. Für mich war dieses Grau der Hoffnungsschimmer, den ich so lange gesucht hatte. Ich war, wie Josie, ein gedemütigter Mensch. Ich hatte das, was man mir angetan hatte, einfach hingenommen, Unmut, Groll, Hass und was immer sonst noch dabei war, mit mir herumgeschleppt und das getan, was alle anderen Gedemütigten dieser Welt tun: gelitten und irgendwie weitergelebt. In dieser Nacht sind plötzlich alle Puzzle-Steine, die bis dahin wirr durch mein Leben gepurzelt waren, zu einem verblüffend simplen Gesamtbild zusammengefallen. Die Antwort auf alle meine Fragen war so klar, dass ich mich wunderte, warum ich nicht früher darauf gekommen war: Ursache und Wirkung! Wer die Ursache beseitigt, eliminiert auch die Wirkung. Und meine Ursache hieß Martin Hanser!
    Jetzt stehe ich am Herd und wärme für ihn ein Dosen-Gulasch auf. Frische Semmeln habe ich zuvor im Spar-Laden an der Ecke gekauft. Er soll leben, sich ernähren, stark genug sein, um den Weg mit mir gehen zu können, der zu meinem Ziel führt. Die Wodka-Flasche ist beinahe leer, er torkelt im Raum herum. Besoffenes Schwein. Das war er immer. Mit Sicherheit auch damals, als er mich aus meinem Leben weggeschrieben hat.

Im Keller, Samstagnachmittag
    Iss nur, wer säuft, muss auch essen. Der Magen braucht eine vernünftige Unterlage. Einen Schwamm, der den Fusel aufsaugt. Ich weiß, du würdest jetzt lieber im Tokio sitzen und Sushi speisen. Ganz nobel, im Kreise deiner Bewunderer. Der Hanser ist dort Stammgast, wissen fast alle Liebhaber fernöstlicher Spezialitäten in der Stadt. Das bist du doch. Ein Liebhaber fernöstlicher Spezialitäten. Liest man ja oft in der Klatschspalte deiner Zeitung. Du wirst es nicht glauben, aber ich war auch mehrmals dort. Bin sogar ganz in deiner Nähe gesessen und hab den Quatsch mit angehört, den die noblen Speiser um dich verzapft haben. Das Messer, erinnerst du dich noch an das Messer, das du gestern so brav in die Hand genommen und mit deinen Körpersäften bekleckert hast? Das hat der Koch liegen gelassen, und ich hab es

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