zuadraht
Straße vor dem Haus ist eng und schlecht beleuchtet, das hat aber nichts mit billig zu tun, sondern mit der Wahrung der Privatsphäre. Von da an geschah nichts mehr. Ich hatte mir an einigen dienstfreien Nächten die Mühe gemacht und bis zum Morgengrauen gelauert. Durch einen Spalt im Vorhang hatte ich ins Wohnzimmer blicken können. Er knotzte mit geschlossenen Augen in einem Sofa, die Beine hoch, auf dem Tischchen daneben die Wodkaflasche. Kein Fernseher, nur Musik. Irgend etwas Schweres, Klassisches. Kurz vor 23 Uhr ging dann das Licht aus.
Er hatte keine Ahnung, dass er von mir beobachtet wurde. Mein Gesicht kannte er zwar nicht, trotzdem war es nicht ratsam, zu oft: in Originalgestalt in seiner Nähe aufzutauchen. Selbst wenn man für das beobachtete Objekt ein Unbekannter ist, reagiert dessen Unterbewusstsein bei zu häufigen Begegnungen und speichert irgendwann einmal etwas Markantes. Die Kopfform, die Augen, die Frisur. Den kenn ich doch, den hab ich doch erst vor kurzem gesehen. Was tut der schon wieder hier? Misstrauen kann man als Beschatter nicht brauchen. Aber es ist ganz einfach, es auszuschalten. Eine Mütze, ein langer Mantel, ein falscher Schnurrbart, eine dicke Brille. Es gibt so viele und so simple Verkleidungen. Man muss sie nur richtig einsetzen.
Die Entführung des Martin Hanser war ein Klacks. Nichts. Nicht einmal ein Abenteuer. Es war meine erste Entführung, und ich war am Ende total enttäuscht, weil sie so glatt und problemlos abgelaufen war. Alles, was ich mir zuvor vorgestellt hatte, die vor Aufregung zitternden Hände, den Druck im Bauch, den Schweiß auf der Stirn, hatte es nicht gegeben. Ich hatte ihn in der Wienerstraße überholt, hatte meinen Wagen unter dem Baum neben seiner Garageneinfahrt geparkt, die Handschuhe angezogen, die Maske über das Gesicht gestülpt, den Ätherbausch vorbereitet und gewartet. Wie immer um diese Zeit war die Straße menschenleer, es war fast Nacht, als er vor dem Garagentor stehen blieb. Als er ausstieg, um es zu öffnen, stand ich bereits neben ihm und drückte ihm das Betäubungsmittel ins Gesicht. Als er sich zu wehren begann, setzte ich zur Vorsicht auch den mitgebrachten Gummiknüppel ein. Er sackte zusammen, war schwerer, als ich gedacht hatte, aber es dauerte trotzdem nur ein paar Sekunden, bis er auf dem Rücksitz meines Wagens lag. Dann öffnete ich sein Garagentor, fuhr sein Auto hinein, zog es wieder zu. Der Hanser gehörte endlich mir.
Die Sache mit dem Leimböck ist ein anderes Kapitel. Ich mag ihn nicht, hab ihn nie leiden können. Ein Schleimer, einer, der stets die richtigen Leute dort oben kannte und stets das richtige Parteibuch hatte, wenn es um Beförderungen oder die Absicherung des eigenen Postens ging. Es stimmt. Ich war damals ein anderer. Viel zu ehrlich und viel zu naiv, um jene Karriere machen zu können, die mir zugestanden wäre. Ich war ein Polizist mit Leib und Seele. Solche gibt es heute kaum noch. Der Reischenböck ist aus Frust mit einem wohlverdienten Magenleiden in Frühpension gegangen, beim Arzberger war‘s ein Herzinfarkt. Und der Hubmann, der ein ganz Großer hätte werden müssen, macht heute Telefondienst. So gehen die dort oben mit Menschen um. Und die Schleimböcks dieser Welt machen Karriere. Chef der Mordgruppe! Ein lächerlicher Heimgärtner, den sie hinter seinem Rücken verächtlich Eipeldauer schimpfen. Damals, als sie mich fallen lassen und gefeuert haben, hat er mir mit seinem schleimigen Grinsen die Hand entgegengehalten und Mitgefühl geheuchelt. Ich war noch nicht reif genug gewesen, um sie auszuschlagen und ihm Stattdessen ins Gesicht zu spucken. Später, während der langen Wachnächte, habe ich diese Situation immer wieder vor mir gesehen, mich hat dabei stets vor mir selbst geekelt. Vor der Feigheit und der Unterwürfigkeit, mit der ich damals gegangen bin. Wie ein geprügelter Hund aus dem Paulustor geschlichen. Man hat mich davongejagt, weil ich auf meine Art die Wahrheit gefunden hatte. Weil ich der einzige Polizist in diesem Sauhaufen war, durfte ich nicht mehr Polizist sein.
Jetzt bin ich der Schutz-Lutz. Ich weiß, dass mich der Schleimböck und die anderen für eine lächerliche Figur halten. Uniformträger, ja, aber auch die von der Müllabfuhr tragen eine orangefarbene Abart davon. Fledermaus nennen die im Paulustor einen wie mich. Nachtaktiv! Habe ich früher, als ich noch einer von ihnen war, auch getan. Verächtlich, abwertend.
Der Augenblick der Erkenntnis hat alles
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