zuadraht
hatte. Es ist noch nicht Sympathie, die ich für ihn zu empfinden beginne, und schon gar nicht Mitleid, aber da ist irgendetwas, das uns zu verknüpfen beginnt. Es war mir immer klar, dass ich bei der Erfüllung meiner Aufgabe in seine Persönlichkeit schlüpfen muss. Ich schreibe seine Kolumnen und ich begehe seine Morde. Bei der Planung schien das alles ganz einfach zu sein. Beobachte das Objekt, studiere sein Leben, seine Gewohnheiten, konzentriere dich dabei auf jedes scheinbar noch so unwichtige Detail und baue daraus ein unsichtbares Ebenbild, eine Marionette, deren Fäden du nach Belieben ziehen kannst. Die Realität ist nicht ganz so, weil der Gefangene aus der Nähe doch anders ist als jene abstrakte Figur, die in meinen Plänen vorkommt. Um das Aufkommen jeglicher Emotionen, die in Richtung Sympathie oder Mitgefühl gehen könnten, zu verhindern, hatte ich – zur Sympathie-Abwehr – den Trick mit dem Wodka geplant. Ein lallender Idiot schafft nur Ekel und Verachtung.
Jetzt kostet es mich aber Mühe, jene Gefühle aufrecht erhalten zu können, die ich für mein Vorhaben brauchte. Eine Mischung aus Gleichgültigkeit und Hass, jedenfalls kein Mitleid mit meinem Gefangenen. Ich bin jetzt er, ich darf jedoch nicht so sein, wie er tatsächlich ist. Ein irrer Satz. Aber ich glaube, dass er stimmt. Ich werde ihn mir merken und später noch einmal darüber nachdenken. Fest steht, dass ich dem Gefangenen gegenüber mehr Distanz wahren muss.
Mein Job und die vertrottelte Uniform. „Security Guards“ nennt man Nachtwächter wie mich heute hochtrabend. Und weil man schon einen Ami-Titel benutzt, steckt man uns auch in die dementsprechende Kleidung. Ich trage so etwas wie einen schwarzen Kampfanzug samt Abzeichen und Barett. Keine Waffe. Offiziell. Meine Glock ist trotzdem immer dabei. Inoffiziell. Man weiß ja nie, wann und wozu man sie brauchen kann. Die Welt ist voller Irrer.
Falls ich sie wirklich einmal verwenden sollte, wird es zwar ein Opfer geben, aber mit Sicherheit keinen Täter. Man wird die Waffe finden, aber man wird sie niemals mit mir in Verbindung bringen können. Ich habe sie vor Jahren bei einer Hausdurchsuchung verschwinden lassen. Keiner, außer ihr Vorbesitzer, wusste von ihrer Existenz. Und der war damals heilfroh, dass man sie anscheinend nicht entdeckt hat. Er hatte sie illegal besessen und die eingestanzte Nummer herausgefeilt. Der Mann, dem sie gehört hatte, hat sich übrigens bald nach seiner Verurteilung in der Zelle erhängt. Aus der Praxis und vielen Fallstudien weiß ich, dass es sehr oft die Waffe ist, die die Ermittler auf die Spur des Täters führt. Jede Waffe hat eine Geschichte und jeder Besitzer kommt in ihr vor. Ich bin zwar der derzeitige Besitzer meiner Glock, aber es gibt nur eine einzige Person, die das weiß – ich selbst. Sicherer kann ein Geheimnis nicht bewahrt werden. Ich habe kurz überlegt, ob ich sie beim Thermen-Leo einsetzen sollte, den Gedanken aber bald wieder verworfen. Gerade weil die Glock keine Geschichte hat, die für den Schleimböck erkennbar ist, ist sie im Zusammenhang mit Hanser als Tatwaffe ungeeignet. Eine Waffe wie diese kann man, wenn überhaupt, nur über Kontakte in der Unterwelt bekommen. Solche hat der feine Herr Redakteur nicht. Das weiß ich, weil ich ihn intensiv beschattet und beobachtet habe und das wird auch der Schleimböck sehr bald wissen. Für den Thermen-Leo habe ich mir etwas viel Besseres einfallen lassen.
*
„Chefredakteur Stocker hat mir versichert, uns über die Ermittlungsstände bezüglich des Herrn Hanser auf dem Laufenden zu halten, Leimböck. Er hat gesagt, er könne ihn zwar nicht erreichen, stehe mit ihm aber gewissermaßen in Kontakt. Sehen Sie lieber zu, dass Sie den Mörder vom Klausberger kriegen und tun Sie nichts, was mir Leid tun könnte, verstanden?“ Tuuuuuut.
Auch der Kurze hatte die hansersche und stockersche Kolumne gelesen und in einer Weise interpretiert, welche nur jenen Vorbehalten ist, die sich einzig mit den großen Dingen beschäftigen und den noch viel größeren Zusammenhängen dieser großen Dinge. Geht es ums Detail, sind Sie ein brillanter Analytiker, Leimböck, hat der Schweinehund gesagt, dachte ich, ließ das Handy zurückgleiten in die Außentasche des Sakkos, wo der Abgang des dritten und letzten russischen Reiseparadeisers Raum geschaffen hatte, und sperrte im Innenhof des Paulustors meinen Wagen auf. Aber was Ihnen fehlt, Leimböck, hat er gesagt, dachte ich weiter, ist das
Weitere Kostenlose Bücher