zuadraht
hast, ein kapitaler Selbstfaller vor versammelter Mannschaft, du hast deine Breitseite dargeboten und wirst niedergestreckt und erlegt durch den Plattschuss einer Neunmalklugen, aus Wien noch dazu, die vermutlich nicht einmal richtig angelegt hat, einfach drauf losgeballert, und der dämliche Leiter der Mord – und jetzt sogar Sonderkommission, Ferri Leimböck, springt ihr als Sechzehnender vor den Lauf und geradewegs in den Schuss.
„Ich wollte nicht vorgreifen, Herr Oberstleutnant. Verzeihung.“ Ein gütiges Zwinkern begleitete Bela Schmaus’ Worte. „Mir sind die Abläufe noch nicht so . . . geläufig?
Streifschuss, Ferri. Poren schließen. Abkühlung. Trockenlegen. „Wenn Sie erst einmal länger bei uns sind . . .“
„Bestimmt“, erwiderte sie.
„Ich denke, das genügt fürs Erste“, sagte ich erleichtert und wieder ins Rund der Versammlung, „wir sehen einander morgen früh um neun. Bohrt überall nach. Kontakt zu mir nur bei elementaren Veränderungen der Situation. Und ich möchte, dass wir uns alle diese Punkte wieder und wieder vor Augen halten: die möglichen Motive und die möglichen Konstellationen. Brennt sie euch in die Festplatte. Betet sie euch vor, wenn es sein muss. Bis sie euch erleuchten. Oder die Sicherungen durchgehen. Ihr wisst ja. Man weiß nie.“
*
„Ich möchte mir die Tatorte ansehen.“ Bela Schmaus hatte mich vor dem Abgang zum Innenhof des Paulustors abgefangen.
„Wenn Sie meinen. Die Adressen stehen im Akt“, gab ich knapp zurück. „Ich gebe Ihnen einen Fahrer?
„Wenn Sie vielleicht so nett wären, Herr . . . Leimböck? Ich denke, ich habe etwas gut bei Ihnen?
„Sie haben gar nichts . . .? Sie hat Recht, unterbrach mich dieser mein Gedanke, sie hat hochgerissen, als ich ihr vor die Flinte gelaufen bin, sie hat in die Decke geknallt, und der Verputz ist auf ihr Pagenschnitthaupt gerieselt. „Sie haben gar nicht. . . so lange gebraucht, um die Spielregeln im Paulustor zu durchschauen, Frau . . . Schmaus. Mit ein bisschen gutem Willen könnte ich Ihnen direkt. . . nun ja, direkt dankbar sein, dass Sie mir die Arbeit abgenommen haben, die fehlenden Punkte vorzutragen. Theoretisch?
„Natürlich. Theoretisch?
„In der Praxis hieße das dann. . . kommen Sie. Wir fangen bei der Murpromenade an?
„Klausberger?“, fragte sie.
„Klausberger?
Bibliothek, Montag später Nachmittag
Die Bibliothek, die mir mein Vater hinterlassen hat, gibt es heute noch. Ich habe sie genauso belassen, wie er sie verlassen hat. Das Buch, das er damals gelesen hat, liegt noch so da, wie er es hingelegt hat. Das Lesezeichen steckt dort, wo er zu lesen aufgehört hat. Ich habe nie nachgesehen, welche Passage in Umberto Ecos Der Name der Rose die letzte Lektüre seines Lebens war. Das Buch liegt auf dem Tischchen neben dem abgewetzten Lederlehnstuhl, in dem er immer saß, wenn er las. Ich habe es nie gewagt, mich auf den Stuhl zu setzen. Ich hatte es damals nicht gedurft, weil er es mir nie erlaubt hat, und ich darf es bis heute nicht. Seine Verbote gelten für mich auch nach seinem Tod. Den Rest des Hauses habe ich im Laufe der Zeit umgestaltet und modernisiert. Diese Bereiche hatten ihn nie wirklich interessiert. Nicht einmal das Schlafzimmer. Sein Heiligtum war immer die Bibliothek gewesen, hier hatte er die meiste Zeit verbracht, wenn er zu Hause war.
Der Augenblick, in dem ich erfuhr, dass er nicht mehr lebte, hat sich für immer in mein Hirn eingebrannt. Ich war im Garten und habe den Hasen gefüttert, den er mir aufgezwungen hatte. Ein Kind braucht ein Haustier, hatte er an meinem zwölften Geburtstag gesagt und mir das Vieh in die Hände gedrückt. Ich sollte damit lernen, Verantwortung für andere zu tragen. Der Hase hat mir nie etwas bedeutet. Er war nur Pflicht, und seine Fütterungen wurden zur lästigen Verpflichtung. Ich hätte ihn ohne mit der Wimper zu zucken verhungern lassen, wenn das möglich gewesen wäre. Auch an Gift hatte ich gedacht. Es hätte allerdings damals schon das perfekte Verbrechen sein müssen, denn mein Vater hätte mich mit Sicherheit entlarvt, hätte ich dabei auch nur den geringsten Fehler begangen. Die Konsequenzen wären fürchterlich gewesen. Was mir blieb, waren wüste Beschimpfungen, mit denen ich den Hasen bei jeder Fütterung eingedeckt habe. Auch Morddrohungen waren dabei. Manchmal, wenn ich mir sicher war, dass Vater mich nicht beobachten konnte, habe ich das Vieh an den Löffeln hochgehoben und in eine Ecke geworfen. Die Erkenntnis,
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