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zuadraht

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Titel: zuadraht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kopacka
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entkommen. Jene, die Tante Grete kontrolliert hatte.
    *

„Der Schdogga haaat taatsächlich verschbrochen, kein Geschreibsel mehr von diesem Hanser abzu . . . abzu . . .?“ Weiter kam Michelin nicht. Sein Kopf sank, einem zu Wasser gelassenen Handlot gleich, verzögert gegen die Platte meines Wohnzimmertisches. Kein leuchtendes Hufeneisenbartgesicht mehr, Stattdessen eine schweißgetränkte Schädelplatte. Zu dünnen Spitzen verklebte Haare staken glänzend aus Stirn-, Scheitelund Schläfengebein, kurz geschorene, perlende Haarpfähle, die vor ein paar Tagen noch straffe, rund ums Haupt abwärts gezogene Abspannseile eines Zirkuszeltes, oder einer Brücke, man weiß ja nie, gewesen wären, dachte ich. Aber seit Willi Fauler, wie er bekanntlich korrekt hieß, versuchte, seine Ehe zu retten, war alles anders. Da machte er auf Körper, brach mit mancher Leidenschaft und ließ sogar den Friseur seine zottigen Strähnen kappen. Michelin hatte sich auf der Tischplatte für die Nacht eingerichtet, gänzlich unbekümmert, Linde, seine Frau, wusste ja, wo er war.
    Ganz im Gegensatz zu mir. Ich wusste schon lange nicht mehr, wo ich war. Wo ich stand. Nicht dass ich den Boden unter den Füßen gänzlich verloren hätte, nein, das nicht, aber er schwankt doch gehörig, überlegte ich nun, wie ein Luxusliner im Monsunsturm auf hoher See, und du trippelst ohne Unterlass von rechts nach lin . . . von Steuerbord nach Backbord, und vom Achterdeck übers Hauptdeck, vorbei am Promenadendeck zum Vordeck und zurück, ein ewiges Pendeln zwischen Göschstock und Heckflaggenstock, wie die Fähnchen ganz vorne und ganz hinten heißen, also achtern, wie Willi mir ohne Unterlass eintrichtert. Willi ist Kapitän, kleine Zille auf kleinem See, aber immerhin, weil die Zille, sagt Willi, ist mein Dampfer. Und ab und zu musst du dann weg von den Schiffsplanken, die ja dein Leben sind, mein Lieber, mein Lieber, eine Philosophie ist das heute, musst weg von den Planken und hinauf in den Mastkorb und einen Blick hinunterwerfen auf dich selbst aus dieser Ausgucktonne, auch wenn es weh tut, weil nicht jeder Blick ein Blick auf das Libidodeck ist (oder heißt das Sonnendeck doch Lidodeck?, na ja, ist doch wurscht). Und dann siehst du, weil nur die Distanz den Überblick verschafft, um noch ein wenig tiefer in die Seefahrersprache hineinzukalauern, dachte ich, dass du nicht überall vor Anker gehen solltest, wo es dich gelüstet, und dass dort, wo es von Nutzen wäre, vor Anker zu gehen, deine Kette nicht reicht, mein Lieber, mein Lieber, eine Philosophie ist das heute, aber das hatten wir ja schon, oder dass ein Kettenstopper die Ankerwinde zum Stillstand bringt. Und der Kettenstopper ist deine Angst vor der Courage. Oder deine Angst vorm Fürchten. Oder dein Chef. Oder deine Frau. Die Seefahrersprache, hat Willi einmal gesagt, trennt die. . . von der . . . ja was denn wovon? Ist doch schon mehr als ein kleines Damenspitzerl, das ich mir da mit dem Michelin angezwitschert habe, dachte ich, geeicht sein hin, Eichenfass her, also die Seefahrersprache . . . also die Ignoranz beginnt, wo die Sprache endet, so oder so ähnlich.
    Muss das sein? Muss ich mir einen antrinken, um zu sehen, wo ich stehe? Ich linste auf Willis verschwitzte Schädelplatte und dachte an Rosa, die sich mir und mit ihr mir die Kinder entzogen hatte. Ich dachte an das Gespräch mit Mutter, die mich vor ein paar Stunden, als ich auf Michelin wartete, erstmals seit vielen Monaten angerufen hatte. Ich las gerade im geierschen Obduktionsbericht (kein Tritt in den Wurmfortsatz der Männlichkeit und auch sonst nichts, was uns weitergebracht hätte, aber auch das nur nebenbei) und sie mir sogleich die Leviten. Verschwörerische Frauenkraft, war mein erster Gedanke gewesen, weil Rosa mit Mutter gesprochen hatte, über sich, über mich, über uns. Ich hatte mich entrüstet gezeigt, naturgemäß entrüstet, aus Selbstschutz gegenüber dieser konspirativen Gewalt, feminin und geballt. Nur Arbeit, nur Pflanzen, nur Wolferl Ambros, keine Zeit, keine Zuneigung, keine Geduld, blablabla. Nur Arbeit, von wegen. Wer bringt denn das Geld nach Hau . . . na ja, Rosa eigentlich auch mit ihrem Nebenjob, von zu Hause aus, Ei Ti Branche, irgendwas mit Computer halt, ha, sie bringt es, das Geld, dachte ich, von zuhause nachhause, oder heißt es von nachhause nach zuhause?, also gut, und nur Pflanzen, von wegen, die brauchen doch meine . . . ja, die Zuneigung, also für die Kinder immer, vorlesen und all das,

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