Zuckerblut
Ecke zu bringen wäre.
›Genau ... jahrzehntelang konnte es ihr die Frau des Sohnes nie recht machen – seine Hemden sind schlecht gebügelt – das Essen schmeckt ihm wohl nicht besonders – auf der Anrichte liegt Staub – spitze Bemerkungen und Schikanen aller Art wechselten sich ab ... und jetzt ist die Alte nach einem Schlaganfall bettlägerig und will auch noch gepflegt werden ...‹
Lindt begann direkt Verständnis für eine solche Situation aufzubringen. Ein Treppensturz vielleicht oder einfach mit dem Kissen ersticken?
Verwundert darüber, dass er selbst so viel kriminelle Phantasie besaß, besann er sich schnell wieder auf seine eigentliche Aufgabe und es kam ihm immer wahrscheinlicher vor, dass eine aufmerksame Krankenschwester in einem derartigen Fall Verdacht schöpfen könnte.
›Alle in den letzten Monaten von Schwester Andrea betreuten Patienten überprüfen, besonders, wenn es Todesfälle gab!‹, schrieb Lindt in Fettschrift als Resümee unter diesen Abschnitt.
Blieben noch die Arbeitskollegen: Da gab es allerdings fast nur Frauen, das hatten Wellmann und er von der Krankenschwester im Büro noch erfahren. Zwei Pfleger, die hauptberuflich in der Neurochirurgie des Klinikums arbeiteten, wurden ab und zu einmal als Aushilfen eingesetzt.
Lindt kannte die miserablen Einkommensverhältnisse im Pflegebereich und verstand, dass sich die beiden Familienväter etwas dazu verdienen mussten. Fest angestellte männliche Mitarbeiter gab es aber in dieser Firma nicht.
Der Firmeninhaber selbst? Es wäre eigentlich der einzige Mann, der bis jetzt mit dem Fall in Verbindung gebracht werden konnte. Außerdem war dieser Weinbrecht momentan nicht da.
Angestrengt dachte Lindt nach: ›Ein Zufall, dass der ausgerechnet in der Tatnacht mit seiner Frau weggefahren ist? Möglich ... Doch genauso gut kann er auch mit der Tat in Verbindung stehen ...‹
Aber welches Motiv hätte er haben sollen? Anscheinend lief die Firma doch ganz gut und dann war da noch das soziale Engagement seiner Frau in dieser Kindernot-hilfe. Bestimmt angesehene Leute ...
Er überlegte weiter hin und her und entschied sich dann doch dafür, der Spur ›Pflegedienst‹ auch noch nachzugehen.
Der Kommissar ging durch die Verbindungstüre ins Büro von Paul Wellmann und Jan Sternberg. »Jan, gibt es irgendetwas über diesen Pflegedienst Weinbrecht, da wo Paul und ich waren? Such doch mal alles raus, was du finden kannst, auch Privates über den Inhaber und seine Frau? Finanzielle Verhältnisse, Grundbesitz, du weißt schon.«
Paul Wellmann sah ihn zweifelnd an: »Wie kommst du denn jetzt ausgerechnet auf den Weinbrecht? Weil er mit seiner Frau gerade für ein paar Tage weggefahren ist? Nein, Oskar, rein gefühlsmäßig glaube ich eigentlich nicht, dass es da eine Verbindung gibt.«
Er zögerte: »Aber ausschließen, ganz ausschließen können wir es natürlich auch nicht. Vielleicht sollten wir noch Nachbarn fragen oder die Mitarbeiter.«
»Nein, kein solches Aufsehen im Moment. Erst versuchen wir mal, was sich geräuschlos ermitteln lässt. Sonst wird doch gleich geredet. ›Die Polizei hat sich für die Weinbrechts interessiert ...‹ Du kennst das ja. Nein, ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass eine kleine Firma in schiefes Licht gerät. Aber von den Patienten, die Schwester Andrea in den letzten Monaten betreut hat, da brauchen wir auch eine vollständige Liste. Vor allem, falls jemand von denen verstorben ist.«
»Bin schon dran!« Jan Sternberg hatte sich bereits in ein Suchprogramm eingewählt. Recherche mit Computerhilfe war ein Spezialgebiet von ihm, was seine beiden älteren Kollegen sehr schätzten. Lindt und Wellmann konnten die gängige EDV-Software zwar gut anwenden, aber Sternbergs besonderen Spürsinn und die Geschwindigkeit, mit der er die verschiedensten Datenbanken abglich, erreichten sie nie.
»Komm, Paul«, wandte sich Lindt an Wellmann, »lass unseren jungen Kollegen hier mal in Ruhe arbeiten. Wir beide müssen jetzt endlich herausfinden, was es mit dem blutverspritzten Stadtplan auf sich hat.«
Immerhin waren die Fingerabdrücke von Andrea Helmholz auf dem Plan gesichert worden. Ob sie es war, die ihn in den Umschlag gepackt, an den Kommissar adressiert und im Präsidium eingeworfen hatte?
»Wir könnten den Graphologen von der Kriminaltechnik um eine Schriftanalyse bitten«, meinte Lindt, als er mit Wellmann in den Stadtteil Mühlburg fuhr, um die Stelle zu finden, die einer der fünf
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