Zuckerguss und Liebeslieder Roman
wieder herauskommt. Wyatt hat
Erbsen, Bohnen, Mais und Möhren eingesät, und ich habe beim Kräutergarten mitgeholfen. Wir haben einen ganzen Vormittag gebraucht, weil ich darauf bestand, den Abstand zwischen den Pflänzchen mit einem Maßband zu bestimmen. Trotzdem sagte er am Ende zu mir, die Art und Weise, wie ich das Cottage umgestaltet hätte, hätte ihn seinerseits motiviert, etwas an der Farm zu tun. Das war natürlich wieder pure Höflichkeit.
Es ist schön hier draußen: die untergehende Sonne und der Blick auf den Wald weiter hinten, eine Idylle, die nur von dem durchdringenden Geruch nach Insektenvertilgungsmittel getrübt wird, den ich verströme.
Wyatt setzt sich und deutet zum Zaun. »Den muss ich bald mal richtig reparieren.«
Mary Lou bricht an einer Stelle immer wieder durch und macht sich dann über den Kräutergarten her. Basilikum mag sie besonders gern. Mary Lou ist ein Vielfraß und eine Naschkatze, wofür ich Casey die Schuld gebe, auch wenn er hartnäckig abstreitet, sie mit Keksen zu füttern.
»Und«, sagt Wyatt, lehnt sich zurück und streckt die Beine aus, »wie steht’s mit Stephen?«
Also ehrlich, ich weiß beim besten Willen nicht, warum Wyatt sich überhaupt nach meinem zutiefst öden Leben in London erkundigt. Was könnte ihn daran schon interessieren? Stephen und ich befinden uns gefühlsmäßig weiterhin auf Achterbahnkurs, wir telefonieren einmal pro Woche und schicken einander wöchentlich zwei E-Mails. Wie Stephen immer sagt, wir wollen uns doch nicht angewöhnen, aufs Geratewohl zum Hörer zu greifen, sonst geht uns noch das Gefühl für Zeit und Kosten verloren. Eine Versöhnung mit Stephen halte ich noch für möglich, nachdem nun Andy und Jennifer eine Wohnung in Coulsdon bezogen
haben (obwohl noch eine Einigung über die Aufteilung der Telefonrechnung aussteht).
»Die Eigentümerversammlung heute Abend war offenbar recht hitzig«, erzähle ich Wyatt. »Stephen hat mir danach eine E-Mail geschickt. Er hat den Verwalter finanzieller Unredlichkeiten beschuldigt, die an Betrug grenzen.«
»Wow.«
»Hmmm. Das ist noch nicht alles. Dann hat er eine Abstimmung vorgeschlagen, um dem Verwalter das Vertrauen zu entziehen.«
»Eine Abstimmung?«
»Ja, alle vier Anwesenden hätten dafür gestimmt. Aber dann hat der Verwalter eingelenkt und mit knapper Not eine Staatskrise abgewendet.«
»Ganz schönes Drama.«
»Stephen hat gesagt, er schreibt morgen noch mehr dazu, aber er musste sich erst mal eine Ovomaltine machen, um seine Nerven zu beruhigen.«
»Und«, fragt Wyatt mit Blick auf das Feld, »hat Stephen vor, mal herzukommen?«
Ich verkneife mir ein spöttisches Lachen. »Nein. Die Entscheidung über unsere Zukunft wird wohl aufgeschoben, bis ich wieder da bin. Stephen hat Angst vorm Fliegen.«
»Ich dachte, er hätte Angst vor großen Höhen?«
»Hat er auch.« Ich zähle es an den Fingern ab. »Große Höhen, Fliegen, Meeresfrüchte, Hunde, Tunnel, übermäßige Geschwindigkeit und Pferde. Na ja, Pferde mögen wir beide nicht.«
»Dann sollten Sie mal mit mir reiten gehen«, sagt Wyatt und guckt zu mir hin. »Das würde Ihnen darüber hinweghelfen.«
Ich verdrehe die Augen. »Sie meinen, wenn ich zu Boden geschleudert werde, bin ich kuriert?«
»Sie fallen schon nicht runter. Das garantiere ich Ihnen.«
»Oh, schauen Sie mal«, sage ich und zeige zu Mary Lou und Billy, der Ziege, die am Zaun stehen. »Sie wollen uns Gesellschaft leisten.«
»Lenken Sie nicht ab«, sagt Wyatt. »Ich gebe nicht auf.«
»Sie haben leicht reden«, wehre ich ab. »Sie wissen ja gar nicht, wie es ist, solche Angst zu haben.«
»Nö.« Er schüttelt den Kopf, als wolle er mir recht geben. »Ich meine, auf eine Bühne rauszugehen, vor Tausenden von Leuten - das ist ein Klacks.«
»Das ist etwas anderes. Von einer Bühne fällt man nicht herunter.«
»Ich schon. Zwei Mal.«
»Tatsächlich?«
»Beim zweiten Mal habe ich mir das Bein gebrochen. Sechs Wochen Gips. Fand meine Ex nicht so toll. Eigentlich wollten wir nach der Tournee nach Barbados.«
Ich habe keine Ahnung, wer diese Ex ist. Wyatt lässt gelegentlich eine Bemerkung über sie fallen, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei dieser »Ex« in Wahrheit um ein ganzes Sortiment von Personen weiblichen Geschlechts handelt. Es sei denn, es gäbe auf der Welt eine, die sowohl früher Cheerleaderin für die New York Giants war und eine klassische Pianistenausbildung an der Juillard School absolviert hat und auf
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