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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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Pitirim Tutunaru in den Armen beobachten den sowjetischen Arzt.
    »Wenn man zu lange auf den Mond starrt, verblödet man. Bringt den Patienten rein!«, sagt der Doktor.
    »Habt ihr die Doktorenwurst dabei? Ja, acht Kilo? Na, sehr gut.«
    Der Doktor schiebt eine Liege zu sich, die mit blauem Kunstleder überzogen ist, und lässt Tutunaru darauf ablegen. Aus dem dunklen Nichts des Krankenhauses taucht plötzlich Schwester Lyubotschka auf, die dem Doktor das Bereitsein des OP -Raumes mitteilt.
    »Uns ist das EKG -Faltpapier ausgegangen, und die Operationsleuchte spinnt ein wenig«, berichtet Lyubotschka.
    »Das spielt bei Stromausfall ja sowieso keine Rolle.«
    »Eine Schande ist es, zwei Stunden früher, und wir hätten ihn noch zur Abendstromzeit zusammenflicken können. Aber Ion von der Autowerkstatt hat einen Transformator, den könnten wir holen.«
    »Hmm, nein, der ist in Iwanofrankowsk unterwegs. Wegen seinem Sonnenblumenkernbusiness«, meint der Doktor dazu, während sie Tutunaru durch einen kurvenreichen Krankenhauskorridor manövrieren. Der Doktor erinnert sich an die Geschichte seines neuen Patienten. Pitirim Tutunaru. Ein Querulant von der Sorte, der man seinerzeit den Eintritt in den Komsomol verwehrt hatte. Aufgrund seines Nichtkonformismus, seiner zu langen Haare, seiner Vorliebe für westlich-dekadente Kunst und wegen der Gerüchte um sein amoralisches und antisozialistisches Leben wurde er auch aus der Kunstakademie rausgeworfen.
    Sein seliger Vater hatte ihm ein altes lilafarbenes tschechoslowakisches Gefährt hinterlassen, das Tutunaru hauptsächlich dazu nutzte, seine Tauschhandelstätigkeiten voranzutreiben.
    »Tja, es läuft wohl alles schief für dich im Moment, was, mein Freund? Wird die Gilde wohl wegen der Zuckerfabrik den Fisch schicken«, flüstert der Doktor zu sich selbst mit auf Tutunaru gerichtetem Blick und denkt daran, dass seit dem letzten Coup Tutunarus mit ›Bushs Füßchen‹, die er zusammen mit Dubassarskij und seinen Leuten sämtlichen ukrainischen und moldawischen Kasernen für 10   Rubel pro Stück angedreht hat, auch schon viele Monate vergangen sind.
    In jener Nacht erscheint Pitirim Tutunaru im Traum eine an Wermut, Baldrian und Federgras reiche podolische Steppenlandschaft mit einförmigem Bewuchs, in der verschiedenstimmige Grillen den Sommer sanft, aber nachhaltig besingen. Die Steppe ist gesegnet mit an üppige Frauenformen erinnernden Hügeln, die einen buschigen Flusslauf flankieren, in dessen Mitte Tutunaru in weißen Shorts auf dem Deck einer langsam dahingleitenden Segelyacht liegt. Am anderen Ufer rennt der Bulibascha von Otaci mit einem weißen Seidentuch Tutunarus Yacht hinterher und wird immer kleiner. Nach einer Kurve erscheint ein Dorforchester mit einem mehrköpfigen Frauenchor in ethnologischer Tracht. Die Frauen tragen wie für Mittsommer geflochtene Blätterkronen und singen zusammen eine traurige Abschiedsdoina für Tutunaru, der ihnen freundlich zuwinkt. Bald verschwinden auch diese, und Tutunaru betritt den Westen. Italien. Eine Stadt am Fluss. Es eröffnet sich ein großer Kanal, auf dem Gondeln umherreiten. Im Hintergrund ist ein ähnlicher Turm wie der der Zuckerfabrik von Dondușeni zu sehen, aber ansonsten ist es Venedig. Wie durch einen dichten Nebel vernimmt Tutunaru zudem zwei moldawische Stimmen, die über medizinische Angelegenheiten debattieren und eigenartigerweise auch über eine zu bauende Datscha.
    »Ich hab schon Steine und Zement für das Fundament bestellt. Das Stück Land, das ich vom dahingeschiedenen Grischa gekauft habe, eignet sich wunderbar für den Kartoffelanbau. Ich hab schon Spritzmittel gegen den Colorado-Käfer besorgt. Der wird mir die Ernte nicht verderben. Aber das Beste, Lyuba«, hier macht die männliche Stimme eine Pause, und Tutunaru kann ein Geräusch vernehmen, das so klingt, als sei ein Metallgegenstand auf Steinboden gefallen. Die männliche Stimme stößt einen Fluch aus.
    »Verfickte Aluminiumschale! Ich werd noch taub bei dem Geklimper.«
    »Tupfer?«, meldet sich die weibliche Stimme zu Wort.
    »Ja, gib mir den Tupfer. Das hier muss auch genäht werden, sieht ziemlich schlimm aus. Kannst du vielleicht die Kerze da drüber halten? Ja, so. Aber pass auf, dass kein Wachs in die Wunde tropft.«
    Die männliche Stimme hustet einmal und ändert wieder ihren Tonfall.
    »Das Beste, liebe Lyuba, ist die Nähe zum Wald. Natürlich. Das ist angesichts unseres idyllischen Winters ein wichtiges Kriterium. Wenn mal die

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