Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
stirbt?«, fiel es mir mit einem Mal ein. »Was ist, wenn Mrs. Williams als Nächste stirbt und die Kinder allein in dem versiegelten Haus sind und für sich selbst sorgen müssen?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht bringt man sie dann alle ins Pesthaus - obwohl es nicht viele davon gibt und sie angeblich alle schon voll sind.«
»Ist ihr Haus schon versiegelt?«
»Ich fürchte, ja«, antwortete Sarah, »und jetzt müssen sie vierzig Tage lang drinnen bleiben.«
»Die Jungen werden es hassen.«
Sarah warf mir einen Blick zu, und ich wusste, was sie dachte, nämlich dass sie vermutlich vorher von der Pest befallen und sterben würden.
»Vielleicht könnten wir ihnen etwas vorbeibringen«, schlug ich unvermittelt vor.
Sie nickte. »Daran habe ich auch schon gedacht. Vielleicht etwas, um die Kinder aufzumuntern. Ein bisschen Zuckerwerk.«
Der Kessel klapperte auf dem Feuer, also goss ich das kochende Wasser über die Kamillenblüten und ließ sie einige Augenblicke ziehen. »Selbst wenn das Haus bereits verriegelt und versiegelt ist, könnten wir den Wachposten bitten, ihnen die Leckereien zu geben.«
Sarah tupfte sich die Augen mit ihrer Schürze ab und stand auf. »Jedenfalls werden wir ein besseres Gefühl haben, wenn wir etwas für die Familie tun - und sei es nur eine Kleinigkeit«, sagte sie. »Was für Blumen hast du heute gesammelt?«
Ich zeigte ihr den Inhalt des Korbs, und während wir unseren Tee tranken, erzählte ich ihr ein wenig von meinen Stunden mit Tom und was für ein aufmerksamer und angenehmer Begleiter er doch war. Allerdings sagte ich ihr nichts von den tiefen Blicken, die wir getauscht hatten: Das waren intime Momente, an die ich später zurückdenken wollte.
Ich zog mein Arbeitskleid an, und Sarah kümmerte sich darum, mehr Wasser in einem Topf zum Kochen zu bringen, dann schlug sie ein ordentliches Stück Zucker von einem neuen Zuckerhut ab und legte es dazu. »Morgen wollen wir ein paar Borretschblüten für sie kandieren«, sagte sie, »sie sollen aufmunternde Eigenschaften haben. Doch heute Abend werden wir ein paar kleine Veilchenkuchen machen. Und dann bringen wir sie gemeinsam zu ihrem Haus und versuchen uns nicht von dem, was wir sehen werden, ängstigen zu lassen, was auch immer es sei.« Sie schüttelte den Topf, damit sich der Zucker schneller auflöste. »Wie sehr wir uns auch erschrecken werden, es ist nichts im Vergleich zu dem, was sie durchmachen.«
Sie ließ mich die Veilchenblüten von den Stielen zupfen und waschen, während sie das Wasser aufkochte, um den Zucker aufzulösen. Mehrere Male schöpfte sie den Schaum ab, bis ein dickflüssiger, klarer Sirup übrig war. Dann erlaubte sie mir, die Veilchen zu nehmen - etwa ein Viertel dessen, was ich gepflückt hatte sie gründlich mit dem Sirup zu verrühren und das Ganze dann schnell auf ein befeuchtetes Tablett zu gießen.
Die Mixtur begann beinahe augenblicklich auszuhärten, und wir ließen sie stehen, während wir den Rest der Veilchen und Borretschblüten für den nächsten Tag wuschen. Als wir damit fertig waren, war der flache Kuchen schon fast hart, und Sarah schnitt ihn sorgfältig in kleine Quadrate, löste sie vom Blech und legte sie auf weißes Papier. Sie sahen sehr schön aus, denn ich hatte mir große Mühe gegeben, Veilchen unterschiedlicher Farben auszusuchen, von Weiß über helles Rosa bis zu dunklem Lila. Allerdings war wohl nicht anzunehmen, dass unsere arme Familie diese ausgesuchte Farbharmonie zu schätzen wüsste.
Als die kleinen Veilchenkuchen einigermaßen abgekühlt waren, falteten wir das Papier zu einem kleinen Paket zusammen und machten uns auf den Weg zum Haus. Die Fenster und Türen waren bereits verriegelt und mit dem roten Kreuz gekennzeichnet. Über dem Kreuz war dieselbe Aufschrift zu lesen, die ich auf dem Haus in St.Giles gesehen hatte: GOTT ERBARME SICH UNSER.
Sarah und ich hielten einander an den Händen fest, als wir uns näherten, denn wir bekamen unbeschreibliche Angst bei dem Anblick dieser Worte so nah an unserem Haus und bei der Vorstellung, was die kleine Familie auf der anderen Seite der Tür durchmachte.
Der Wachposten, ein bärtiger junger Mann, saß draußen auf einem Stuhl, seine Hellebarde hatte er quer vor dem Eingang abgestellt.
»Würdet Ihr dieses Zuckerwerk bitte den Kindern geben, wenn Ihr sie das nächste Mal seht?«, bat Sarah und drückte ihm das Päckchen in die Hand.
Er nickte. »Das ist morgen früh«, sagte er, »wenn
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