Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
Marie...«
Ich schnappte nach Atem. »Doch nicht...«
Sarah schluckte laut. »Sie hat es erst gestern bekommen, aber ihre Mutter, Mrs. Williams, hat niemandem Bescheid gesagt, aus Angst, dass die Behörden benachrichtigt werden würden. Sie sagte, es sah genauso aus wie ein Ausschlag. Sie dachte, es sei das Schweißfieber. Doch heute Morgen waren zwei Bubonen am Körper des Babys.«
»Was ist das?«, fragte ich ängstlich.
»Harte Beulen voller Eiter. Sie tauchen in der Leiste, am Hals oder unter den Armen auf«, sagte sie zögernd. »Sie sind ein sicheres Anzeichen für die Pest.«
»Und was ist dann passiert?«
»Mrs. Williams hat einen Apotheker gerufen, weil sie sich keinen Arzt leisten können. Und es war nicht Doktor da Silva, der kam, es war jemand anders. Doch bevor er da war, waren die Beulen so prall gefüllt, dass das Baby weder die Beine noch den Kopf bewegen konnte, ohne zu schreien.«
Ich erschauerte.
»Und obwohl der Apotheker versucht hat, die Beulen aufzuschneiden, war es zu spät. Marie soll ein letztes Mal laut aufgeschrien haben - ein ganz schreckliches Geräusch - und dann gestorben sein.«
Ich zog einen Stuhl heran, setzte mich zu Sarah und schwieg eine Weile. Ich versuchte zu erfassen, was das zu bedeuten hatte. Marie kannte ich kaum, sie war erst knapp zwei Jahre alt und konnte noch nicht lange genug laufen, um viel mit Dickon und Jacob unterwegs gewesen zu sein. Ich hatte nur ein kräftiges,
10 6 schmutziges Kind gesehen, das über den Platz wackelte und versuchte, eine der Katzen zu fangen. Einmal hatte ich Marie ein paar kandierte Rosenblüten gegeben, und sie hatte etwas in ihrer Babysprache gebrabbelt und war davongelaufen.
Nach einer Weile bat ich Sarah, mir mehr zu erzählen.
»Das Erste, was ich gehört habe, war, dass das Kind... Nein, das Erste, woran ich merkte, dass etwas geschehen sein musste, war, dass die Glocken der Kirche von St. Dominic anfingen zu läuten. Dann hämmerte Mr. Newbery an die Tür und brüllte, dass etwas Furchtbares geschehen sei. Ich ging auf die Straße. Alle schienen draußen zu sein, sie standen einfach nur schweigend vor ihrer Tür. Da bin ich von Haus zu Haus gegangen und habe gefragt, was los ist, aber alle weinten nur und waren nicht in der Lage, es mir zu sagen. Und dann kam Mrs.Williams die Straße entlanggerannt. Sie zog und zerrte an ihren Kleidern und schrie, raufte sich das Haar, als würde sie vor lauter Gram wahnsinnig werden. Erst dann hat mir jemand erzählt, dass es Marie war, die gestorben war, und dass man annahm, es sei die Pest gewesen.«
Ich stand auf und stellte den Wasserkessel auf die Feuerstelle, um uns beiden einen Kamillentee zu kochen. Ich fühlte mich kalt und leer und konnte kaum glauben, was passiert war. Wie konnte dieses Kind den einen Moment glücklich in unserer Mitte herumspringen und im nächsten Augenblick tot sein?
»Das Schlimmste«, fuhr Sarah fort, »ist, dass diese arme Frau ... diese vor Kummer wahnsinnige Mutter... vielleicht von einer Stimme in ihrer Nähe hätte getröstet werden können, von jemandem, der ihr gesagt hätte, dass sie sich jetzt um ihre anderen Kinder kümmern muss. Doch niemand traute sich auch nur in ihre Nähe.«
»Sie hat keinen Mann«, sagte ich, als mir einfiel, dass Sarah mir erzählt hatte, Jacobs Vater sei ein Seemann gewesen, der zu Beginn des Jahres auf See umgekommen sei.
Sarah schüttelte den Kopf. »Keinen Mann. Überhaupt keinen Tröster. Ich wollte gern etwas für sie tun, sie in den Arm nehmen und Trost spenden, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Die Angst vor der Pest war zu groß. Und so ist sie denn allein mit ihrer Trauer«, sagte sie und fing an zu weinen. »Aber das Allerschlimmste weißt du noch gar nicht«, fügte sie hinzu - und es war selbstsüchtig von mir, ich weiß, aber ich sah mich sofort um, ob Miau noch da war.
»Es hat nichts mit Miau zu tun«, sagte sie und schüttelte weinend den Kopf. »Sie ist in einem Karton unter unserem Bett und war gar nicht draußen.«
»Was ist es dann? Sag es mir schnell«, flehte ich sie an.
»Das älteste Kind, Kate, hat es. Sie hat dieselben Anzeichen. Und ihr Haus wird versiegelt.«
»Oh!«, entfuhr es mir.
Wir warteten beide schweigend, bis das Wasser kochte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es in diesem Haus zuging, wo Mrs. Williams nur herumsaß und darauf wartete, dass die Anzeichen der Pest sich zeigten, wartete, ob der Tod noch eines ihrer Kinder holen würde.
»Was passiert, wenn sie
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