Zuckermacher 01 - Die Schwester der Zuckermacherin
Mr. Newberys Stimme, die sagte: »So ist es richtig - pflückt die Rosenknospen, solange ihr könnt!«
Unwillig schlug ich die Augen auf.
»Das ist es, was die Dichter uns raten«, fuhr Mr. Newbery fort, »und in diesen finsteren Zeiten täten wir gewiss gut daran, es uns zu Herzen zu nehmen!«
Ich starrte ihn zornig an und dachte, dass es keinen ungünstigeren Moment für Mr. Newbery und eine seiner Geschichten geben könnte als diesen, doch das schien ihm nicht aufzufallen. Er sah nur abwechselnd von Tom zu mir und schenkte uns beiden sein vergnügtes und unwillkommenes Lächeln. »Wenn ich mich nicht täusche, bist du der Lehrjunge aus der Apotheke!«, sagte er. »Erzähle mir doch mal, was du davon hältst, einen Goldengel in den Mund zu nehmen, um die Krankheit fern zu halten. Ich habe nämlich gehört, es ist das Mittel schlechthin.«
Tom warf mir einen bedauernden Blick zu und gab mir die Hand. Ich drückte seine Finger zum Abschied und machte einen kleinen Knicks, denn ich wusste, dass Mr. Newbery lange Zeit reden konnte, wenn ihm der Sinn danach stand.
»Entschuldigt mich bitte ...«, murmelte ich, und Tom schenkte mir noch ein Lächeln - ein strahlendes, zärtliches Lächeln -, bevor ich wieder ins Geschäft ging.
An diesem Abend nahm ich das Lavendelöl und dachte an Tom, bevor ich einschlief. Tatsächlich schlief ich tiefer und fühlte mich am nächsten Morgen besser. Zu meiner großen Schande ließ ich allerdings zwei ganze Tage verstreichen, ehe ich Abby wieder besuchte. Dafür gab es keine Entschuldigung, außer meiner eigenen Selbstsucht, denn solange ich mit Sarah zusammen war und in unserem Geschäft blieb, hatte ich das Gefühl, dass mir nichts zustoßen konnte. In der Stadt fühlte ich mich nicht mehr sicher, der Tod ging in den Straßen um, und niemand war vor ihm gefeit. Ich hielt London nicht mehr für einen aufregenden Ort.
Abby stand nicht am Fenster, als ich um das Haus Herumging, und sie tauchte auch nicht auf, als ich sie rief. Ich wartete und rief sie immer wieder, doch schließlich fürchtete ich das Allerschlimmste und machte mir schwere Vorwürfe, dass ich nicht früher gekommen war. Ich ging zur Vorderseite des Hauses und sprach mit dem Mann, der vor der Tür stand. Immerhin war noch jemand da, der die Tür bewachte, sagte ich mir, also musste noch jemand im Haus am Leben sein.
Ich erzählte ihm, dass ich gekommen sei, um mit meiner Freundin, der Magd, zu sprechen, es aber nicht geschafft habe, sie zum Fenster zu rufen, und fragte ihn voller Angst, ob es noch mehr Todesfälle im Haus gegeben habe. Er bejahte, konnte mir jedoch nicht sagen, wer gestorben war.
»Der eigentliche Wachposten ist nämlich krank geworden, und ich bin erst seit gestern Abend da«, sagte er.
Beschämt und niedergeschlagen fing ich an zu zittern, denn was wäre, wenn Abby seit meinem letzten Besuch gestorben war? Was, wenn sie sich zum Fenster geschleppt hatte, weil sie mich erwartete, und ich aber nicht gekommen war?
»Wie viele Todesfälle hat es denn insgesamt in diesem Haus gegeben?«, fragte ich.
Mit einem Achselzucken sagte er: »Drei oder vier, glaube ich.«
Ich ging wieder hinter das Haus, warf ein paar kleine Steine an das Fenster und rief und rief. Schließlich, nach sehr langer Zeit, kam jemand. Es war Abby, aber es war nicht die Abby, die ich kannte. Diese Person hatte einen irren Blick und ein schmerzerfülltes Gesicht, und auf ihrer Stirn perlten Schweißtropfen.
Auf den ersten Blick sah ich, dass die Krankheit sie tief und tödlich getroffen hatte, aber ich versuchte, den Schreck hinunterzuschlucken, den ich bei ihrem Anblick bekam. »Endlich«, sagte ich, »ich rufe dich bestimmt schon seit einer Stunde oder noch länger.«
Abby lächelte zu mir herunter. Ihr Lächeln war merkwürdig, und auch in ihren Augen lag ein sonderbarer Ausdruck.
»Ich bin heimgesucht worden, Hannah!«, sagte sie, und zu meiner großen Verwunderung klang ihre Stimme so, als ob sie mir erzählte, dass einer ihrer liebsten
Freunde zu Besuch gekommen war. »Schließlich und endlich heimgesucht. Die Pest hat mir lange Zeit den Hof gemacht, aber ich habe tagelang Widerstand geleistet ...«
»Ich ... ich verstehe«, stammelte ich.
»Doch der Tod hat mich in seine Arme gerufen. Und was kann eine Magd da schon tun?« Dann schrie sie plötzlich vor Schmerzen auf und hielt ihren Kopf mit beiden Händen fest. »Aber, oh! Er ist ein harter und gemeiner Meister!«, rief sie aus.
Ich schluckte meine Tränen
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