Zügel der Leidenschaft
kann ich dienen?« hielt Kit einen unruhigen, grüblerischen Moment inne und antwortete dann: »Lassen Sie meine Kutsche bringen.«
Als sein Kutscher vorfuhr, gab er ihm die Anweisung, stieg ein und überlegte dann vage, was er gerade vorhatte. ›Vage‹ war genau der treffende Ausdruck.
Er war immerhin betrunken; alles erschien überdeutlich. Und der Rest – Prinzipien, Nützlichkeit, Skrupel – war zusammen mit seinem Verstand verbannt.
Madame Centisi in ihrem üblichen grauen Seidenkleid begrüßte ihn mit Hochachtung; die Halbwelt kannte Kit Braddocks ausgeprägte Vorliebe für Lustbarkeiten. In der letzten Zeit hatte er bei den meisten Madames inoffiziell Kredit und befand sich damit eindeutig in der gleichen großzügigen Kategorie wie sonst nur Angehörige des Königshauses und Maharadschas. Madame Centisi lud ihn in ihren Salon und bot ihm einen Drink an, den er ablehnte, und in der Annahme, daß er nicht zu ihr auf einen persönlichen Besuch gekommen war, fragte sie: »Was kann ich für Sie tun, Mr. Braddock? Interessieren Sie sich für einen unserer gutaussehenden Burschen?« Sie hatte gedacht, er zöge Frauen vor, aber die Langeweile überwältigte schließlich jeden, wie sie wußte.
»Ich interessiere mich eher dafür, eine Ihrer Kundinnen zu beobachten«, erwiderte er.
»Ich bin nicht sicher, ob ich das für Sie tun kann, Mr. Braddock«, antwortete die grauhaarige Besitzerin voll Respekt. Sie wirkte und klang eher wie die Frau eines Landpfarrers und nicht wie eine Bordellinhaberin. »Meine Kunden erwarten von mir völlige Diskretion. Wenn sich eine solche Praxis herumspräche ...«
»Ich verstehe«, unterbrach sie Kit sanft, verstand aber auch, daß in den Hurenhäusern dieser Welt alles seinen Preis hatte. »Ich würde Ihnen gern gut für dieses Privileg bezahlen. Sie sagen mir bitte, was Sie benötigen, um meine Bitte wohlwollend zu betrachten.«
»Woher wissen Sie, daß die Dame sich hier aufhält?« fragte sie in vollem Bewußtsein, für wen er sich interessierte; sie war stets über sämtlichen Klatsch in der Gesellschaft informiert. Sie selbst war über das Erscheinen von Gräfin de Grae überrascht gewesen; das war doch gewiß keine Frau, der es an Männern mangelte.
»Ein Bekannter sah sie hereinkommen ...«, Kit warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »... vor etwa vierzig Minuten. Vielleicht bin ich aber zu spät«, fügte er hinzu, seine Wut beherrschend, die aufflammte, als er sich an Angelas heißblütige Sexualität erinnerte.
»Nein, das sind Sie nicht«, sagte Madame Centisi.
»Blond, zierlich – eine bemerkenswerte Schönheit«, sagte er. »Sprechen wir über die gleiche Dame?«
»Im Boucher-Zimmer«, murmelte sie.
Er bot ihr sofort so viel Geld, daß ihnen sämtliche zeitraubenden Verhandlungen erspart blieben. Madame Centisis dunkle Augen weiteten sich bei der ungewöhnlich hohen Summe anerkennend; sie verbarg ihre Überraschung hinter einem gezierten Hüsteln und sagte: »Meinen Sie in bar?«
Kit ließ die Hand in die Jackentasche gleiten, zog seinen Geldclip hervor und zupfte fünf hohe Banknoten heraus. Er legte sie auf den Tisch vor sich und erhob sich dann rasch. »Ich bin in Eile«, sagte er leise.
Sie führte ihn zu einer versteckten Tür unter der Treppe und über ein dahinter verborgenes Treppenhaus zu einem schmalen Gang, der alle Zimmer im ersten Stock miteinander verband. Sie trat in den dritten Bogengang, legte den Finger an den Mund, um Schweigen anzudeuten, und zog langsam einen kleinen Samtvorhang an der Wand beiseite. Dann trat sie beiseite, winkte ihn zu sich und wollte gehen.
Doch er umfaßte ihren Arm und bedeutete ihr, zu bleiben. Dann blickte er durch das kleine Fenster, das ihm einen guten Überblick über ein üppig ausgestattetes Zimmer bot.
Angela saß voll bekleidet auf einem vergoldeten Sessel beim Kamin und hob gerade ein Glas Champagner an die Lippen. Der kräftige junge Mann, den sie sich ausgesucht hatte, saß nur mit seiner Hose bekleidet vor dem Feuer auf dem Boden und trank ein Glas Wein.
»Es tut mir leid, wenn mir das hier sehr unangenehm ist«, sagte Angela unsicher. »Normalerweise bin ich nicht sehr prüde, aber ich kenne Sie nicht, und ... nun, ich bin mir nicht sicher ...«
»Ob Sie auch wollen?« fragte der dunkelhaarige Mann lächelnd.
Sie hob eine feingeschwungene Braue. »Sie haben das schon mal gehört?«
Er nickte, nahm die Champagnerflasche aus dem Kühler neben sich, beugte sich vor und füllte ihr Glas nach.
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