Zügel der Leidenschaft
leid, die gleichen Unterhaltungen, die endlosen Dinners, die unglaubliche Langeweile ...«
»Warum entfliehst du dem nicht heute abend und verschwindest einfach?« schlug die Baronin freundlich vor. »Souveral und ich werden dich entschuldigen und uns um die Teegesellschaft kümmern.«
Angela zögerte einen Moment, und die Unentschlossenheit zeichnete sich auf ihrer Stirn ab. »Hättest du auch nichts dagegen?« fragte sie schließlich. »Aus irgendeinem Grund finde ich die Gesellschaft heute abend noch entnervender als sonst.«
»Natürlich haben wir nichts dagegen. Es ist ja nicht so, als würdest du nicht alle morgen abend bei Charlotte wiedersehen.«
Angela stöhnte leise auf.
»Hattest du es vergessen?«
»Allerdings.«
»Verschwinde einfach«, drängte sie Violet. »Ehe die anderen über uns herfallen.«
»Bist du sicher?«
»Sagen Sie es ihr, Freddy. Sie sind immer viel diplomatischer als ich.«
»Wenn Sie jetzt nicht gehen, müssen Sie sich die Geschichte mit Priscillas Preis wieder anhören.«
Angelas grinste. »Das war genau die Anregung, die ich brauchte, Schatz. Ich sehe euch morgen«, erklärte sie rasch und wandte sich um, um den Raum durch die Schiebetür zur Bibliothek zu verlassen, wobei sie gerade eben Charlotte und Lord Congreve entging, die als erste eintrafen.
Kit war bei Tisch von Priscillas Bericht über ihre Vorstellung bei Hofe aufgehalten worden, und er, das Mädchen und Lady Wolcott brachen als letzte zum Salon auf. Nachdem Angela mehrere Minuten in der Bibliothek verharrt hatte, um den Gästen aus dem Weg zu gehen, die noch unterwegs zum Salon waren, schlüpfte sie zu ihrer Suite am Ende des Ganges. Genau in diesem Augenblick trat die kleine Gruppe der Nachzügler aus dem Speisesaal. Und wenn Kit nicht einen gelangweilten Blick über den Gang geworfen hätte, weil Priscilla und Lady Wolcott die Länge ihres Gesprächs mit der Königin verglichen, er hätte die Wolke aus blondem Haar und rosafarbenem Chiffon nicht erspäht, die gerade außer Sicht huschte.
Bei Betreten des Salons hörte er, warum die Gastgeberin sich zurückgezogen hatte. »Die ärmste hatte schreckliches Kopfweh«, erklärte Lady Lanley, »daher habe ich darauf bestanden, daß sie uns uns selbst überläßt. Angela hat aber versprochen, morgen abend bei deiner Gesellschaft in bester Form zu sein, Charlotte. Wer möchte Tee?«
Eine höfliche Weile lang beantwortete Kit nun zahlreiche Fragen nach seinem siegreichen Rennen, trank Brandy statt Tee, lauschte mit trägem Interesse dem neuesten Klatsch und spekulierte mit größerem Interesse über die Möglichkeit, die Gräfin allein in ihren Gemächern zu finden. Man stellte gerade die Tische für diejenigen auf, die Bridge spielen wollten, als er sich an seine Verabredung im Jachtclub erinnerte. »Ich habe Waring einen Blick auf meine Seekarten versprochen«, erklärte er Charlotte und Priscilla. Dabei konnten ihn die Damen gewiß nicht begleiten, denn der Club war, außer bei besonderen Veranstaltungen, eine streng männliche Domäne. Er hatte sich den Treffpunkt mit Bedacht ausgesucht.
»Kann nicht jemand anderer Lord Waring helfen?« protestierte Priscilla. »Ich habe Sie wegen dieses albernen Rennens den ganzen Tag nicht gesehen!«
Ihr Egoismus war wirklich umwerfend. Aber Kit sagte belustigt und verlockendere Pläne hegend darauf nur: »Ich fürchte, Waring verläßt sich auf mich, da ich die Strecke erst vor kurzem gesegelt bin. Er wird in Harcourt morgen ziemlich starke Konkurrenz haben.«
»Können Sie nicht noch ein wenig länger bleiben?« Priscilla setzte ein anmutiges Schmollmündchen auf.
»Aber Liebling«, warf Charlotte ein, »du darfst nicht so anspruchsvoll sein.« Diesen mütterlichen Rat gab sie mit einem bezaubernden Lächeln und dem beunruhigenden Gefühl, daß die Worte ›bis nach der Hochzeit‹ hier unausgesprochen blieben.
Doch Kit in seiner freundlich-großzügigen Stimmung ignorierte den charmanten Betrug, verabschiedete sich angemessen und ging. Von einem abenteuerlichen Gefühl angeregt, blieb er in der verlassenen Eingangshalle stehen und blickte sich um: Kein Diener war zu sehen und nichts zu hören. Nichts, so freute er sich, stand nun zwischen ihm und der Tür am Ende des Ganges.
Er zog seine Uhr aus der Westentasche: Erst elf Uhr. Er lächelte.
Und jetzt wollte er nachschauen, ob Lady Angela mit ihrem Kopfschmerz ein wenig Trost brauchte.
5
Während Kit den teppichbelegten Gang entlang schlenderte, betrachtete er die
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