Zügel der Leidenschaft
Plötzlich schien es, als habe sie lange, quälende Jahre auf die Wärme seiner Lippen gewartet.
Er berührte ihren Mund so zart wie mit Schmetterlingsflügeln – es war ein Kuß von quälender Verlockung und sanfter Überredung, wie ein verstohlener Kuß hinter dem Chorgestühl einer Kirche, in dem dichtgedrängt die Gläubigen saßen. Sie seufzte – und das war ein so berauschend lustvoller kleiner Laut, daß es seiner bis zum Zerreißen gespannten Zurückhaltung den Rest gab. Doch rasch brachte er seine Impulse wieder unter Kontrolle, denn die zauberhafte Gräfin Angela war sich noch unsicher, ihre Stimmung schwankte noch kapriziös. Einen Hauch fester tasteten sich seine Lippen nun vorsichtig weiter, und während er ihr Kinn mit der Hand umfangen hielt, drang seine Zunge in ihren Mund, spielte mit der ihren, stieß dann tiefer vor, verlangte mehr, versprach mehr. Und Angela erbebte bis in die feinsten Nervenenden ihres Körpers – wie ein Schulmädchen fühlte sie sich, wie schon seit Jahren nicht mehr. Solche Sinnlichkeit hatte sie nicht von einem Mann erwartet, der einfach ungebeten bei ihr eintrat; sie hatte ihn nicht zu einer so einfühlsamen Zärtlichkeit für fähig gehalten. Doch es gefiel ihr, daß sie sich geirrt hatte.
Ihre leisen Laute drangen in Kits Bewußtsein wie eine Einladung und Aufforderung. Seine Erregung stieg, und scharfe Lust überwältigte jedwede Vernunft; spontan überlegte er, sie einfach zu entführen, um sie ganz für sich zu haben, doch im gleichen Moment schon gelang es ihm, diese unerklärlichen Gefühle zu verdrängen. Er brauchte keine Besitzerrechte. Im Gegenteil, überlegte er vernünftiger, als dieser Implus verebbte, er zog sein ungebundenes Junggesellenleben vor. Nun zog er sich auf vertrauteres Terrain zurück und ließ mit seinem erfahrenen Geschick für eine sinnliche Verführung die freie Hand durch Angelas Goldhaar gleiten, bis sie an ihrer Schläfe zur Ruhe kam. Er hob die Lippen um Haaresbreite und flüsterte: »Küß mich, mon ange .«
»Ich darf nicht ...« Unentschieden bebten ihre Lippen.
»Ich will es aber.« Und er wollte auch tief in sie eindringen.
»Und wenn ich es nicht tue?« Ein Anflug von Trotz färbte ihre Stimme.
»Dann muß ich einfach warten, bis Sie es tun«, gab er mit gespielter Resignation zurück.
Er ist ein ungewöhnlicher Mann, dachte sie, dankbar für seinen geschickten Rückzug. Auf männliches Autoritätsgehabe hatte sie noch nie sonderlich positiv reagiert. Sie berührte seine Hände, löste sich von ihm, lehnte sich so zurück, daß sie ihn anblicken konnte, und murmelte spielerisch: »Wie lange werden Sie warten?«
»Hmmm ...« Seine Augen funkelten vor Vergnügen. »Da morgen kein Rennen stattfindet ...«
»Nein, nein ... es wird einen Skandal geben, wenn Sie so lange bleiben.« Aber ein lustvolles Lächeln dämpfte den Vorwurf in ihrer Stimme.
»Ich verstecke mich einfach unter dem Bett«, schlug er verschmitzt, aber in durchaus ernster Absicht vor.
Bei dem Gedanken, Kit Braddock so ... nahe bei sich zu haben, durchfuhr sie eine aufstörende Welle von Leidenschaft. Doch sie war weniger leichtsinnig als er und versprach sogleich darauf: »Ich werde Sie ein einziges Mal küssen, aber dann müssen Sie gehen.«
»Gut«, antwortete er mit Bedacht. Er ließ sie los und blieb abwartend und freundlich lächelnd vor ihr stehen.
»Nur einen einzigen Kuß«, sagte sie, doch ihr verführerischer Unterton brachte seine gespielte Gelassenheit fast zum Schwinden.
»Nur einen«, stimmte er mit samtig-tiefer Stimme zu.
»Ich kann Ihren Mund nicht erreichen.« Leiser Spott tanzte in ihren himmelblauen Augen, und sie erbebte wie ein junges Mädchen vor dem allerersten Mal.
»Geben Sie mir Ihre Hände.« Ihm gefiel, daß sie die meisten Ihrer Einwände vergessen hatte und Spaß an dem Spiel zu finden schien. Als sie ihm ihre kleinen Hände entgegenstreckte, legte er sie an seine Schultern und sagte sanft:«Wenn du dich jetzt auf die Zehenspitzen stellst, kannst du mich küssen.«
Seine Körperkraft war unter ihren Händen deutlich zu spüren: stahlhart zeichneten seine Muskeln sich ab. Er war ungewöhnlich groß.
Als dieser letzte Gedanke ihren Verstand durchschoß, löste er die verführerischsten Bilder aus. Bestimmt war er groß, flüsterte eine erregte Stimme in ihr, sehr groß, und einen zitternden, lustvollen Moment lang wollte sie ihn in sich spüren.
Er sah, wie die Röte ihr Wangen und Hals übergoß und sich in das
Weitere Kostenlose Bücher