Zügel der Leidenschaft
hoch.
»Sie sind nicht die erste Lady, die ich geküßt habe.« Seine dunklen Wimpern senkten sich anzüglich, und er blickte sie unter trägen, halbgeschlossenen Lidern her an. »Sie haben einfach zu viele Skrupel.«
»Sie hingegen haben gar keine.«
»Da haben Sie recht«, stimmte er freimütig zu. »Und das ist vermutlich der Grund, warum ich überhaupt noch am Leben bin.«
»Haben Sie irgendwann einmal die falsche Frau geküßt?«
Er grinste. »Sind Sie etwa neugierig?«
»Natürlich nicht. Ah, endlich«, murmelte sie dann, als sich das Paar vor ihnen in Bewegung setzte. Sie legte eine Hand locker auf seinen Arm und lächelte zu ihm hoch. Dabei sagte sie mit geübter Verbindlichkeit: »Lady Morton hat einen so ausgezeichneten französischen Chefkoch.«
»Es ist ganz wie Zuhause«, erwiderte er leutselig – ebenso fähig wie sie zu unverfänglichem Geplauder. Er hatte auch keine Eile – das Wochenende hatte gerade erst begonnen.
Das Dinner war überaus reichlich und dauerte sehr lange. Angela widmete ihre Aufmerksamkeit ihrem anderen Tischnachbarn, und so unterhielt sich Kit während der ersten beiden Gänge mit Lady Hareswood, die besonders gern über ihre Beagle-Meute sprach. Kit erfuhr alles über Stammbaum und Blutslinien der Hunde, ehe sie schließlich Lord Gordon zu ihrer Rechten in ein Gespräch verwickelte. An diesem Punkt gestattete sich Braddock, sich einfach zurückzulehnen und den zauberhaften Anblick und die Stimme von Gräfin de Grae zu genießen.
Sie tauschte gerade mit Lord Villiers ihre Ansichten über Jagdgewehre und die ansässigen Waffenschmiede aus. Es überraschte ihn jedesmal, daß eine Frau ihrer Statur sich so für männliche Sportarten begeisterte – obwohl er sich stets wegen dieses Vorurteils ermahnte. Seine Mutter und seine Schwester waren beide nicht sehr groß und taten sich auf vielen Gebieten hervor, die man als männliche Domäne betrachtete. Vielleicht lag es an Angelas heller Haarfarbe und ihrem Teint, die ihr eine solche Zartheit verliehen, als sei sie zerbrechlich ...
Aber heute abend aß sie immerhin ordentlich, wie er bemerkte, und zwar nicht besonders sittsam. Die Seezunge ›Alice‹ verspeiste sie, als genieße sie jedes Stückchen, das Rebhuhn mit getrüffelten Bandnudeln verschwand ebenfalls rasch, während der zweite Fleischgang, Lammnüßchen mit Artischockenherzen und Erbsen, eine ihrer Lieblingsspeisen zu sein schien, denn sie nahm ein zweites Mal davon. Fasziniert fragte er sich, ob sie auch in anderen Bereichen ihres Lebens einen solchen Appetit entwickelte.
Als Lord Villiers in eine Unterhaltung mit seiner Tischnachbarin zur Linken vertieft war, aß Angela eine Weile schweigend weiter und widmete sich ausgiebig ihrem Lammfleisch. Kit trank mehr als daß er aß, weil das Angebot zum Tee ihm eigentlich als Abendmahlzeit ausreichte. Er fühlte sich ungeheuer zufrieden, wie ein Kind, dem man gerade ein sehnlichst gewünschtes Spielzeug geschenkt hat. Er war umgeben von ihrem Parfüm; ihre nackte Schulter und ihr verlockendes Dekollete befanden sich nur wenige Zoll von ihm entfernt, und ihre Stimme klang süß in seinen Ohren.
»Sie essen ja gar nichts«, sagte sie endlich mit einem Blick zu ihm. »Kann ich Ihr Rinderfilet haben?«
»Sie essen zwar schon genug für uns beide, aber Sie können es ruhig nehmen«, antwortete er mit freundlichem Spott und schob seinen Teller dichter an ihren heran. »Ich dachte, Sie essen bloß Desserts?«
Fragend blickte sie mitten in der Bewegung auf, das Filetstückchen auf der Gabel balancierend.
»In Eden House«, erklärte er, »haben Sie bloß die Desserts gegessen.«
»Es war so heiß an dem Abend«, erwiderte sie schlicht und legte das Rindfleisch auf ihrem Teller ab.
»Und Fleisch essen Sie nur, wenn es kühl ist?«
Sie lächelte süffisant. »Sie sind sehr neugierig, Mr. Braddock.« »Kit«, korrigierte er lächelnd. »Ich werde es nicht ausnutzen, wenn Sie mich mit meinem Vornamen anreden.«
»Finden Sie das irgendwie kindisch von mir?« Sie zerlegte das Filet in kleine Häppchen.
»Nein, nicht kindisch, nur ein wenig förmlich.«
Sie blickte zu ihm hoch. »Sollte ich Ihr zügelloses Benehmen vielleicht begrüßen?«
»So weit sollten Sie vielleicht nicht gleich gehen.« Er grinste. »Obwohl ich mich einer gewissen Diskretion rühmen kann.«
»Wirklich? Sie überraschen mich.« Ihre seidigen Wimpern hoben sich über den großen blauen Augen. »Und wo genau üben Sie diese Diskretion aus?«
»Wo immer
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