Zuendels Abgang
Natur! So schwindeln sich alle von Unterschlagung zu Unterschlagung, von Selbstbetrug zu Selbstbetrug, und am Ende schlottert auf jedem Totenbett nichts weiter als ein stinkiger, schmieriger und monströser Klumpen Verlogenheit. - In Ewigkeit. Amen, sagte Zündel, und bald darauf schlief er ein.
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Zum Frühstück trank er ein Glas Grappa und dann noch eins. - Wie schlage ich mir diesen Samstag um die Ohren? dachte er und war froh, als ihm einfiel, daß sein momentanes Thema die Frau war, im weiteren, versöhnlicheren Sinne der Mensch. - Ich könnte meine nächtlichen Erkenntnisse aufschreiben und sie im Laufe des Tages vervollständigen. Ich könnte von Bar zu Bar ziehen und mich für jeden Gedanken mit einem Schnäpslein belohnen. Vielleicht läppern sich die Einsichten zu einem kleinen Kompendium zusammen? Die nötige Kennerschaft wird mir wohl niemand absprechen, das wäre angesichts einer mehr als dreißigjährigen herben Praxis denn doch der glatte Aberwitz.
Zündel entschloß sich also, an diesem Samstag zu denken und zu trinken. Natürlich wußte er selbst, daß er nicht trinken würde, um sich fürs Denken zu belohnen, sondern weil ihm ums Trinken war und weil er die Verantwortung für das, was er zu denken (und zu notieren) sich vornahm, nicht ganz allein tragen wollte. Er brauchte Zeit, um die schlaflosen Stunden der vorangegangenen Nacht zu Papier zu bringen, und als er es geschafft hatte und damit zufrieden war, aß er einen Teller
Spaghetti, trank einen halben Roten und hielt bis vier Uhr Siesta.
Dann aber zog er los.
Tina Bar, 11. 7. Das neue Wörterbuch. Eine Handreichung für mich und andere Nachzügler. Erster Teil. -Einzuprägen: Eigensucht heißt jetzt Selbstentfaltung. Rücksichtnahme heißt Selbstverlust. Roheit heißt Freimut. Treulosigkeit heißt Spontaneität. Charakterlosigkeit heißt Aufgeschlossenheit für alles Neue. Hohlheit heißt Empfänglichkeit. Das Unvermögen, allein zu sein, heißt kommunikative Kompetenz.
Lola Bar, 11. 7. Des neuen Wörterbuches zweiter Teil. Einzuprägen: Flatterhaftigkeit heißt Flexibilität. Hemmungslosigkeit heißt Temperament. Kopflosigkeit heißt Impulsivität. Verführbarkeit heißt Unverklemmtheit. Unzuverlässigkeit heißt Selbstbestimmung. Oberflächlichkeit heißt erfrischende, entwaffnende, wohltuende, unvergrübelte, unkomplizierte Natürlichkeit.
Sereno Bar, 11. 7. Des neuen Wörterbuches dritter Teil. - Einzuprägen: Die Angst vor dem Verlust der Geliebten heißt kapitalistisch verseuchtes Besitzdenken. Die Angst vor dem Verlust der Geliebten heißt spießig schofle Eifersucht. Die Angst vor dem Verlust der Geliebten heißt filziger Sexualneid. Die Angst vor dem Verlust der Geliebten heißt infantile Rockzipfelneurose.
Bar Delfino, 11. 7. Des neuen Wörterbuches vierter und letzter Teil. - Einzuprägen: Stinken heißt duften. Duften heißt stinken.
Stella Bar, 11. 7. Vertraulicher Liebesknigge. Ein Merkblatt für Männer. - Kapitel 1: Willst du sie loswerden, so zeig ihr, daß du sie nötig hast. Möchtest du sie behalten, so zeig ihr, daß du sie loswerden willst. - Kapitel 2: Bist du ein lieber und freundlicher Freund oder Gatte, dann denkt sie: »Er ist ja lieb, er ist ja lieb, aber der Charly -der macht mir weiche Knie!« Behandelst du sie schlecht, dann denkt sie: »Er behandelt mich schlecht, aber ich hab ihn einfach so schrecklich gern!« - Kapitel 3: Sagt sie zu dir: »Der Max ist mir sehr sympathisch!«, so kannst du ruhig schlafen. Sagt sie aber: »Ach der mit seinen krummen Beinen!«, so hast du Grund zur Besorgnis. - Kapitel 4: Geht sie fremd, so macht sie dich dafür verantwortlich: Du hast ihre Bedürfnisse nicht abgedeckt. Geht sie nicht fremd, so macht sie dich dafür verantwortlich: Du hast sie eingegittert. - Kapitel 5: Gibst du ihr dein Vertrauen zu spüren, dann sagt sie eines Tages: »Vertrauen ist eine subtile Form der Unterdrückung!« Sagst du ihr aber: »Ich mißtraue dir!«, dann antwortet sie: »Das ist ja das Elend unserer Beziehung!« - Kapitel 6: Bist du eifersüchtig, denkt sie: »Er umklammert mich!« Bist du nicht eifersüchtig, sagt sie: »Du liebst mich also nicht mehr.«
Balbi Bar, 11. 7. Fortsetzung. - Kapitel 7: Sie will sich unabhängig machen. Aber Dornröschen bleiben. - Kapitel 8: Sie will Täterin werden. Aber wohler ist ihr als Opfer. - Kapitel 9: Sie will Zärtlichkeit. Aber gern träumt sie Umstandsloseres. - Kapitel 10: Sie will Sicherheit, sie will Geborgenheit. Aber nicht ohne
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