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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Wer allein ging, pfiff. Die Andern redeten laut. Die Händler schrien, einige lockten mit scherbelnder Musik. - Es fiel ihm auf, daß an allen Ständen, an denen bespielte Tonbandkassetten zu haben waren, auch Massagestäbe feilgeboten wurden und daß neben den Zigaretten auf den Tischchen der Schwarzmarkthändler immer auch Präservative lagen. Noch nie hatte Zündel so viele Ganoventypen und offen- sichtliche Zuhälter gesehen. Sie standen an jeder Ecke, meist auf einem Bein, das andere lehnte abgewinkelt an der Mauer. Sie spähten nach Freiern oder nach Opfern für ihre gefälschten Golduhren und raunten »Haschisch!«, wenn Zündel an ihnen vorbeibummelte. Mit Erleichterung registrierte er die sichtbare Existenz dieser Unterwelt. Er dachte an seinen geplanten Revolverkauf und sah, daß seine Sorgen unbegründet gewesen waren: Das Geschäft würde problemlos sein und mit Sicherheit klappen. Obwohl es damit nicht eilte, sah er sich schon als Besitzer, und freudig klopfte sein Herz.

    Pippo Bar, 10. 7. Der Colt in der Nachttischschublade. Provisorischer Leitfaden: 1. Kann man jederzeit gehen, fällt das Bleiben leichter. 2. Aber nicht kokettieren. 3. Und niemals drohen. 4. Vorher die wollüstigen Trauergemeindephantasien abklingen lassen. 5. Sich aus dem Verkehr ziehen im Wissen um die unermeßliche Teilnahmslosigkeit der Welt. 6. Momentane Verzweiflung gilt nicht. 7. Pfui, doch nicht wegen einer Frau! 8. Überhaupt: Trotz- oder Rachemotive schänden. 9. Anerkannt wird Dauertrübsinn und alles, was tief, ernst, stark und anhaltend nach unten zieht. 10. Gleichwohl: Wenn irgend möglich eine heitere Stunde wählen. Wer weinend geht oder verstört, geht falsch. 11. Nochmals das Banalste bedenken: Diese Art Rückzug ist unwiderruflich. 12. Nochmals bedenken: Erlöst wirst du (im äußersten Glücksfall) als Lebendiger, nicht aber als Toter. Ende und Erlösung sind zweierlei, auch wenn du es anders gelernt hast. 13. Gehe hin in Ruhe und Dankbarkeit. Denn immerhin: Du hast es hinter dir. Und du warst da, hast, obgleich stets als Bedürftiger, gelebt und deine Würzelchen geschlagen. -

    Früh und müde ging Zündel zu Bett. Aber er lag noch stundenlang wach, wehrte sich vergeblich gegen die aufsteigenden Bilder von Magdas (vermeintlicher!) Untreue, wehrte sich vergeblich gegen seinen Haß, der immer unmäßiger wurde. - Triebhafte Sau, sagte er laut. Niederträchtige Schlampe. Verlogenes Luder. Schamlose Schlitzgeige. Dumme, blöde, falsche, treulose, herzlose, eigensüchtige Kuh. -

    Er schämte sich sehr und fand sich erschreckend primitiv. Es ist doch alles gar nicht so gemeint, wisperte er und dachte: Wirklich nicht? Wie wollen wir denn jemanden nennen, der seinen Gefährten nach Jahren der Nähe und der Vertrautheit knallfall abserviert? Sich unter Berufung auf das willensunabhängige Wesen der Gefühle aus dem Staub macht? Sich überdies rechtfertigt durch den Hinweis auf das dringliche Bedürfnis nach Selbstfindung? Sich nicht scheut, plötzlich all das heraufzubeschwören, was ungut war an der Beziehung, und all das emsig zusammenzuklauben, was unzulänglich war am Partner? Und wie ehrlich ist diese ganze pompöse Veranstaltung, die den Absprung umrahmt, der ohnehin immer und ausnahmslos zum Purzelbaum in die Arme eines ändern gerät? Warum sagt man stets: »Ich habe mich einem ändern zugewandt, weil unsere Beziehung kränkelte ...«? Warum sagt man nicht: »Ich bin jetzt angewiesen auf deine Fehler und auf das Morsche an unserer Beziehung, denn das entlastet mich und entschuldigt meine Treulosigkeit...«? Wie wollen wir also eine Kreatur nennen, die immer so tut, als sei die nachträgliche Erklärung oder Rechtfertigung ihres Verhaltens auch schon dessen auslösender Beweggrund gewesen? Zündel grübelte lange, verwarf die vorher benutzten Schimpfwörter und rang sich durch zur einzig gerechten, wenn auch (in seinen Augen) etwas pastoral tönenden Antwort: Wir wollen diese Kreatur einfach Mensch nennen, nicht Sau, nicht Kuh. Einfach Mensch. Denn wir sind alle so, alle. In diesem Zentralpunkt der Lebensführung herrscht ödeste Konformität. Jeder ist ein mehr oder weniger eleganter, mehr oder weniger findiger Bemäntelungsexperte, Entlastungstechniker und Rechtfertigungsspezialist, der noch seine schuftigsten Schritte zu adeln versteht. Jedes Wort ein ausgehusteter Schleimpropf! Jeder Satz ein öliger Vorwand! Unredlichkeit als Grundform menschlichen Daseins! Unwahrhaftigkeit als Gestaltungsprinzip und zweite

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