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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Mittwoch gelang es Zündel, um neun Uhr aufzustehen. - Heute gibt's einen richtigen Ausflug, alter Bleichschnabel! sagte er in den Spiegel hinein. Wir fahren nach Portofino. Der Nietzsche war auch dort. Und der unstete Geist eines französischen Dichters fand Ruhe an jenem Ort. Avanti! Mit dem Zug nach Santa Margherita. Palmen, Orangenbäume, Touristen. Weiter mit Schiff oder Bus. Sagen wir Schiff. Bus ist Alltag, Schiff ist Urlaub.

    Viele viele Menschen stehen wartend auf der Mole. Auch eine Reisegruppe aus Deutschland. Welch eine Sprache! denkt Zündel und stellt im stillen eine Gleichung auf: Italienisch zu Deutsch gleich Kaninchenhaar zu Wildschweinborste. Oder: Italienisch zu Deutsch gleich Ballettpantoffel zu Nagelschuh, gleich Kirsche zu Knoblauch. Und jetzt kommt das Schiff, tutet, legt an, und mit sich überschlagender Stimme brüllt der deutsche Reiseführer: Oberdeck besetzen! Zündel nimmt den Bus.

    Das also ist Portofino. Souvenirstände, Boutiquen, Jachten, Jollen und Fototouristen, sonst aber wirklich sehr pittoresk. Da flickt sogar ein Fischer sein schadhaftes Netz, ein schnappschußwürdiger Bursche mit Brusthaar und sehnigen Sehnen. Konrad hat ein freies Tischchen gefunden unter einem Sonnenschirm. Er bestellt Capuccino. Wie eine belebte Bühne liegt die Piazza vor ihm.
    Er raucht und schaut und fühlt sich wohl. Minutenlang gefallen ihm die Menschen. Auch die Frauen. Vor allem die Frauen. Vor allem jene, die jetzt so harmonisch über den Platz geht oder vielmehr schwebt, jetzt stehenbleibt, jetzt weiterschwebt im stumpfen Winkel zu ihrer vorigen Bahn, das heißt: direkt auf Zündel zu. O Lohn der Menschenliebe. O Schreck. Sie setzt sich an mein Tischchen! Legt einfach ihre Hand auf meinen Arm! Sagt einfach: Bonjour, ca va? Er schluckt leer und sagt: Oui. - Sie sagt: Tu es Suisse, n'est-ce pas? - Er stottert nochmals: Oui. - (Kein Zweifel, daß sie mich bodenlos fad findet und ihren Mißgriff bereut.) Aber sie lächelt ihn an und flüstert: Tu me plais.
    - Darauf kann er nicht einmal oui sagen. Nippt nur verstört an seinem Capuccino.
    Sie sagt auf deutsch - und ihr Akzent ist süß: Ich heiße Nadine, nein, ich heiße Eve - weißt du was: sag mir Nounou! Nounou nennt mich noch niemand. Plötzlich fühlt Konrad sich freier. Er sagt: Und ich heiße Traugott, aber das ist für dich etwas schwer auszusprechen, nenn mich doch einfach Pansoti! Das ist eine ligurische Teigwarenspezialität, die ich besonders gern esse. Nounou kichert und fragt: Weißt du, was ›Nounou‹ ist?
    - Nein, sagt Zündel. - Sie sagt: Nounou ist der Name einer griechischen Büchsenmilch, die ich besonders gern trinke. - Bist du Griechin? fragt er. - Zum Teil, antwortet sie, aber bitte frag mich nicht aus! Kommst du zu mir essen? - Zündel, verwirrt: Wohnst du denn hier? - Nounou wiederholt: Kommst du zu mir essen? - Er fragt: Wann denn? - Sie sagt: Jetzt, heute, heute abend! - Er überlegt, und bevor er antworten kann, steht sie auf und sagt: Eh bien, dann eben nicht. - Zündel rasch: Doch, gern, ich komme gern! - Langsam und leise sagt Nounou: Aber nicht heute! - Und grußlos geht sie weg.
    Er bleibt benommen sitzen. Sieht, wie die zwei schwammigen Schweizer am Nebentisch seiner entschwebenden Nounou nachgaffen, hört, wie der eine sagt: Ganz passabel!, hört, wie der andere sagt: Die Beine dürften länger sein! - und seine Verblüffung über Nounous Verhalten weicht der Wut über diese dickarschigen Kerle und der Empörung über die unglaubliche Selbstverständlichkeit, mit der die abstoßendsten Männer ästhetische Urteile über Frauen abgeben.
    Die Typen wollen zahlen. Herrisch rufen sie den Kellner. Sie reden in jenem Deutsch zu ihm, von dem Deutschsprachige glauben, die Italiener verstünden es besonders gut. Sie sagen: Du aufpassen, du uns nicht bescheißen! -Der Kellner geht nicht darauf ein und nennt den Preis. Sie finden ihn unverschämt, den Preis, und maulen herum. Schließlich bezahlen sie. Schließlich stehen sie auf, und im Aufstehen sacken sie heimlich die Mokkalöffel ein. Zündel hat es gesehen. Er hat nicht geschwiegen.
    Er hat gesagt: Legen Sie die Löffel wieder hin, sonst mache ich Lärm.
    Froschäugig haben die beiden ihn angeglotzt, haben wie Idioten gegrinst und die Löffelchen schnell wieder hingelegt. Bravo Zündel! hat Zündel gedacht. Endlich ein Sieg!

    Er trank zwei Mandelschnäpse.
    Dann kam Nounou zurück, nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände und sagte: Bonjour Pansoti! - Er gab keine

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