Zuendels Abgang
dicht vor ihm und sagte: Je suis jolie, n'est-ce pas, Pansoti, je suis jolie! - Aber er berührte sie nicht und sagte: Du bist so nah, ich kann dich gar nicht sehen. - Nounou sagte: Je suis nue, mais toi aussi, Pansoti, toi aussi tu es perdu! - Du hast recht, sagte er bewegt, du hast recht.
Später lagen sie wie Bruder und Schwester im Bett. Nounou sagte: Jetzt begreife ich plötzlich meinen Mann. Er hat immer ganz anders empfunden als ich, ich meine sexuell, ich meine seelisch. Interessiert es dich? Kurz und gut. Mein Mann hatte immer dann Lust, mit mir zu schlafen, wenn wir einander fremd waren, wenn also irgendwelche Spannungen, Verstimmtheiten, Disharmonien unser Verhältnis störten und jeden von uns hinter die eignen Grenzen zurückwarfen. Es war dann, als hingen zwei Käfige in der Stube, und in jedem saß ein Kanarienvogel und pickte gekränkt und wütend und sehnsüchtig und verlegen am Gitter herum. Also. In solchen Situationen wollte mein Mann mich spüren - und ich ihn nicht. Ich wollte ihn spüren, wenn wir uns seelisch ganz nah waren, als körperliche Bestätigung quasi. Er aber hatte gerade dann kein Bedürfnis nach meinem Körper. Die seelische Harmonie schien seinen Trieb zu lahmen, während sie meinen weckte. Für ihn war Sexualität ein Mittel, um Fremdheit zu beseitigen, für mich ist sie ein Ausdruck vorhandener Nähe. Voila. Wir mußten uns trennen. Schläfst du? - Nein, sagte Zündel. - Bin ich eine Plaudertasche? - Nein, sagte er, ich höre dir gern zu. - Möchtest du von dir erzählen? - Eigentlich nicht antwortete er. - Sie fragte: Soll ich die Kerze ausblasen?
- Konrad sagte: Und warum begreifst du jetzt plötzlich deinen Mann? - Weil es mir mit dir ähnlich geht wie ihm mit mir. Du bist mir so seltsam vertraut und nah, daß mir eine heftige Berührung fast zerstörerisch, jeden falls überflüssig vorkäme. - Ja, seufzte Zündel, die Fleischeslust ist recht und gut, aber auch ich habe dieser Art von Grenzüberschreitung nie so ganz getraut. Die aufein- anderklatschenden Körper bleiben sich Fremdkörper, vielleicht wirkt der sogenannte Geschlechtsakt darum so absurd und trotzig, und vielleicht ist das der Grund da für, warum sich jeder vernünftige Mensch auch nach der scheinbar gelungensten Verschmelzung ein bißchen ge prellt fühlt. Wo ist er jetzt? - Wer? fragte Nounou. - Dein Mann. - Er ist tot, sagte sie. Drei Monate nach unserer Trennung stürzte er in den Dolomiten ab. Übrigens war er Schweizer wie du. Er glich dir sogar. Als ich dich heute mittag so verlassen an deinem Tischchen sitzen sah, erschrak ich, so sehr fühlte ich mich an Martin erinnert. - Zündel sagte: Für mich ist das ein wenig traurig. - Warum denn? fragte sie. - Du hast mich nicht meinetwegen, sondern seinetwegen gern. Ich bin nur Ersatz. - Das ist doch immer so, du dummer Pansoti, sagte Nounou und küßte ihn auf die Augen. Jedes Liebespaar besteht aus zwei Lückenbüßern! Liebe kann gar nichts anderes sein als die gegenseitige Bereitschaft, dem ändern das Original zu ersetzen! - Du spinnst ja, sagte Zündel, und Nounou fragte schläfrig: Meinst du? - Nach einer langen Pause bat sie ihn, die Heidelbeerkonfitüre in der Küche zu holen, sie habe so schrecklich Lust. Als er mit Büchse und Löffel zurückkam, schlief sie schon tief.
Er nahm seine Kleider, zerquetschte die Flamme der Kerze zwischen Daumen und Zeigefinger, schlich aus dem Zimmer und schloß leise die Tür. Im Stübchen machte er Licht. Dann zog er sich an. Er suchte ein Blatt Papier und setzte sich an den Tisch.
Nounou, ich muß weg. Morgen wären vielleicht schon hundert Messer nötig, um uns auseinanderzuschneiden, und übermorgen tausend. Ich habe mir neulich versprochen, unzugehörig zu sein und an keiner Himmelfahrt mehr teilzunehmen. Meine Fallschirme sind verbraucht. Mein verfluchter Schädel wittert hinter jedem Paradies einen Miststock. Adieu, Nounou, je t'embrasse. Pan-soti.
17
Zündel eilte in nordwestlicher Richtung aus der Stadt. Er folgte der kurvenreichen Küstenstraße, die Rapallo mit Santa Margherita verbindet. Linkerhand lag grau und wellenlos das Meer. Es war drei Uhr früh. - Ich könnte jubeln, dachte er, ich könnte aber auch heulen. Scheiden tut weh und erleichtert das Herz. Ein Abschied schwächt und beschwingt.
In der kleinen Bucht von San Michele setzte er sich auf eine Steinbank, rauchte und schaute aufs Meer. Er versuchte, nichts zu denken, um nicht das denken zu müssen, was - wie er glaubte - jeder andere
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