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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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Sonnenschutzcreme ein und dachte: Ich bin daran, meine Ferien aktiv zu gestalten. - Eine Kinderstimme rief: Guck mal Mutti, der Mann dort ist ganz weiß! - Ein paar Meter hinter Konrad lag eine Familie, braungebrannt und deutsch. Die Mutti blickte flüchtig auf den weißhäutigen Zündel und sagte: Uschi komm, wir machen ein bißchen patsche patsche. Eine italienische Familie war gerade mit dem Ankleiden beschäftigt. So umständlich, daß man hinschauen mußte. Wechselseitige Hilfestellungen sollten ein Sichtbarwerden jener Partien verhindern, die in Italien noch immer zum Privatleben zählen. - Prüd, aber glaubwürdig, fand Zündel. Verklemmt, aber weit herziger als die verbissene Oben-ohne-Ehrlichkeit moderner Strande.
    Die deutsche Mutti war inzwischen mit Uschi baden gegangen. Papi las Zeitung: »Schreiendes Baby in Mülltonne entdeckt!«
    Dazu fiel Zündel nichts ein. Er vertiefte sich in seine eigene Lektüre, ein Taschenbuch mit dem Titel »Überlebenstraining«. Er merkte sich: Ungewöhnlich gesund, da reich an Protein, sind Regenwürmer. Man wirft sie in kochendes Wasser. Anschließend öffnet man sie mit einem Messer, entfernt den Sand und wäscht sie noch einmal von innen. Dann röstet man sie auf einem glühenden Stein. Beilage: Junge Löwenzahnblätter. Jetzt kam Mutti mit Uschi zurück. Uschi war in einen Seeigel getreten und schrie. Papi sagte: Man kann doch aufpassen, zum Teufel, wofür hast du denn deine Augen! - Mensch reg dich mal nicht so auf, das kann jedem passieren, sagte Mutti. Papi sagte: Nee, man kann doch achtgeben! - Dann ging er brummend baden. Zündel merkte sich: Niemals Urin trinken! Im äußersten Notfall (Wüste!!) kann man aus Urin Trinkwasser zubereiten: Man uriniert in ein ausgebuddeltes Sandloch und wird sehen, wie die giftige Flüssigkeit sofort versickert. Nun stellt man ein Gefäß auf den Grund der Sandmulde und zieht ein trichterförmiges Stück Kunststoff über den Behälter. Während die Schadstoffe im Boden bleiben, wird die Flüssigkeit von der Sonnenhitze aus dem Boden an die Oberfläche gesaugt, schlägt sich an der aufgespannten Folie nieder und tropft ins Gefäß. -Das Kind heulte noch immer. Schon kam der Vater vom Baden zurück. Er humpelte stark und rief: Es muß doch eine Behörde geben, die für die Sicherheit dieses verfluchten Strandes verantwortlich ist. Ich werde mich beschweren. Hast du eine Pinzette dabei, Mutti? Seeigelstacheln können zu einer Blutvergiftung führen! - Nee, hab ich nicht dabei, Schatzi, die ist im Hotel, sagte Mutti. Tut's denn arg weh? Nun stieg auch Zündel ins Meer, und trotz der gelben Schaumkronen, die ihn umzingelten, genoß er die Abkühlung. Beim Landen hielt er die Augen offen, trat aber dennoch erwartungsgemäß auf einen Seeigel. Auf dem Rückweg zu seinem Plätzchen unterließ er das Hinken aus Angst, der Deutsche könnte ihn in ein Gespräch über die Schlampigkeit italienischer Behörden verwickeln. Der Deutsche aber saß jetzt, seiner Frau den nach vorn gebeugten Rücken zuwendend, zwischen ihren Beinen und ließ sich von ihr seine Mitesser ausdrücken. Die langen weißen Würstchen waren für Zündel das Zeichen zum Aufbruch.

    Versalzen und klebrig kam er im Hotel an. Sofort zog er sich bis auf die Unterhosen aus, warf sich das Frottiertuch über die Schultern und eilte zur Etagendusche. Kurz davor verlangsamte er seine Schritte, und fast instinktiv spitzte er die Ohren. Aus dem Duschraum vernahm er ein Geräusch, das tönte wie das Hecheln eines Hundes an einem schwülen Sommertag. Er horchte genauer: Da drinnen wurde schnell und zweistimmig geschnauft! Potz Blitz, dachte Zündel und hüpfte von einem Fuß auf den ändern, denn er sah, daß das Schlüsselloch ungewöhnlich groß war. -  Normal, so dachte er, normal wäre nun wahrscheinlich ein stiller Rückzug, während ein Augenscheinchen wahrscheinlich bereits ans Abartige grenzen würde. Soll ich oder soll ich nicht? - Das Schnaufen wurde laut und rhythmisch, und jetzt bückte sich Zündel unwillkürlich, drückte das rechte Auge zu und schaute mit dem linken durch das Schlüsselloch. Er sah: Eine rosagekachelte Wand. Sonst nichts. - In diesem Moment geschah das ganz und gar Grauenhafte. Zündel bekam von hinten einen gewaltigen Fußtritt und krachte mit dem Stirnbein gegen die Tür. Eine Sekunde lang herrschte Totenstille, drinnen wie draußen, aber noch ehe sich Zündel - schlotternd vor Schreck und Scham - vollends aufgerichtet hatte, begann ihn eine hohe

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