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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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hat alles! Für Hans gilt Gleiches. Warum ist Hans unglücklich? (Auch ohne Grippe!) Einige Ursachen zeitgenössischen Elends nennt man nur noch mit Hemmungen, da sie bereits als Ladenhüter gelten: Beton. Brutalität. Anonymität. Kälte. Konkurrenz. Stinkluft. Stinkwasser. Lärm. A-Bombe. B-Bombe. C-Bombe. Das hat der Fritz doch alles auch! Ist dennoch happy! Ein Dickhäuter?
    Und Hans der Sensible? Der mit dem durchsichtigen Häutchen?
    So wären denn alle Probleme nur Hautprobleme? Das Lebensglück eine dermatologische Angelegenheit? Wie aber kommt Hans zu seiner unzweckmäßigen Haut und Fritz zu seinem Fell? Weiß nicht.
    Weiß nur: Es gehört zur Strategie der Niedertracht, die Betrübten soweit zu bringen, daß sie für ihr Unglück die Beschaffenheit ihrer Haut verantwortlich machen und statt der Welt sich selber verfluchen. Sie sollen sich begreifen lernen als Jammertanten, und sie sollen sich ihrer Traurigkeit schämen. Aussterben sollen sie, damit die Wölfe endlich unter sich sind. Wenn aber die Traurigen gehen, stirbt nicht nur Maria die Trösterin, sondern es stirbt auch das Gespür für das Falsche. Wenn die Kranken folgsam verenden, verscharrt man auch die Todesursachen. Wenn die Leidenden untergehen, die Schwächeren sich zurückziehen, die Verrückten eingelocht sind, dann ist die Welt im Lot, dann herrscht das Positive, dann hört man nur noch das dröhnende und pausbackige Halleluja der Tauglichen. -
    Wie satt habe ich diese Grübeleien, wie sehne ich mich nach einem stilleren Kopf. Ich lieg im Bett und reklamiere. Ich bin ein Bett-Rebell. Und schon das ist mir zuviel. Vor der Haustür bin ich eher ruhig. In der Wohnung schon lauter. Und im Bett wird dann mutig gelärmt. Aber auch das ist mir jetzt zuviel. Ich will draußen wie drinnen still sein, nicht brav, nicht mutig, nur still. Still wie ein Kehrichtsack, der abholbereit am Straßenrand steht.

    Als Konrad sich aufrichtete, wurde ihm schwindlig, und als er aufstand, merkte er, daß die Beine ihn kaum trugen. Doch schon der Gedanke an ein Sandwich machte ihm Brechreiz.
    Irgendwo trank er stehend zwei Schnäpse. Um acht Uhr saß er - als erster Kunde des Tages - in einem Coiffeur-Salon und bat den Barbiere, ihm die Haare so kurz wie möglich zu schneiden.
    Zehn Millimeter? fragte der Coiffeur. - Fünf! sagte Konrad. Es war ihm ein wenig peinlich, daß sein Magen so stark knurrte, bald aber hörte er, daß auch der Magen des Coiffeurs knurrte, und fasziniert lauschte er dem Zwiegespräch.
    Noch faszinierter - allerdings auch mit zunehmendem Entsetzen - verfolgte er im Spiegel die erbarmungslose Metamorphose seines Schädels. Nach zwanzig Minuten saß er einem Wesen gegenüber, mit dem ihn nichts mehr verband. Ein Menschenhaupt ist das jedenfalls nicht, dachte er, es ist die Kreuzung zwischen einem gerupften Fasan und einer Strumpfkugel. Magda wird vor Schreck erstarren. Magda würde vor Schreck erstarren, wenn sie mich sähe. Aber die Wohnung wird ja leer sein morgen abend. Auch das Silberbesteck, das Magda in die Ehe gebracht hat, wird weg sein, so daß ich am Küchentisch sitzen werde, froh um mein Taschenmesser, mit dessen Hilfe ich dann eine Scheibe verschimmeltes Brot mit ranziger Butter bestreiche.

    Konrad kaufte eine Flasche Cognac und suchte sein Zimmer auf. Von zehn Uhr morgens bis gegen Mitternacht schrieb er.
    Dann machte er - auf schwachen Beinen - einen Spaziergang. In der Hafenstraße herrschte noch Betrieb, die Gassen aber waren ausgestorben. Konrad hatte Angst. Als er plötzlich etwas Dunkles vor sich liegen sah, begann er am ganzen Körper zu zittern. Wenn das ein Mensch ist - dachte er - dann klappe ich zusammen. -Es war ein Hund, und Konrad sagte erleichtert: Ruhe wohl, Bruder. - Im Zimmer schaute er in den Spiegel und erkannte sich noch immer nicht. Besser ein toter Hund als ein lebender Löwe, dachte er. Dann schrieb er weiter, bis fünf Uhr früh.

    Letzter Eintrag: Über die Würde.
    ›Würde‹ - das ist der verzweifelte Versuch, angesichts unserer Nichtigkeit Haltung zu bewahren. Und ist das wünschenswert?
    Das Elend muß gebrandmarkt werden, die Hinfälligkeit muß gezeigt sein, damit die himmlischen Heerscharen endlich erwachen. Solange wir um Würde ringen, glauben sie uns munter.
    Am Sonntag, zwölf Uhr mittags, stand Konrad auf dem Bahnhofplatz und schaute noch einmal auf zu Cristoforo Colombo. Er bemerkte erst jetzt, daß Kolumbus sich mit seiner linken Hand auf einen mächtigen Anker stützte und mit seiner

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