Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
Vom Netzwerk:
rechten den Nacken einer ihm zu Füßen sitzenden Meerjungfrau berührte.

    Abends um neun war Konrad daheim.

    20

    Ich rufe in Erinnerung: Am Morgen des 9. Juli, einem Donnerstag, hatte Zündel den Kater zu Judith gebracht und ihr erklärt, er fahre »südwärts«. Am folgenden Samstag (11. 7.) war Magda von Bern (Aufenthalt bei ihrer Freundin Heien) heimgekehrt. Vergeblich hatte sie die Wohnung nach ihrem Kater und nach einer Botschaft Konrads abgesucht, und vergeblich waren in der Nacht auf den Sonntag die Versuche gewesen, ihre große Unruhe loszuwerden und endlich einzuschlafen. (Es war, als hätte sie gespürt, daß ihr Mann zur gleichen Zeit - verfolgt von zwei Polizisten - durch Genuas Gassen jagte, bis eine Eisenkette ihn zu Fall brachte.) Am Sonntag hatte Magda dann verschiedene Bekannte angerufen, auch mich. Ich erzählte ihr von Konrads Besuch bei mir (Dienstagnacht, 7./8. Juli), verschwieg aber, um sie nicht noch mehr zu ängstigen, in welch grimmiger Verfassung er gewesen war. (Eine Verfassung, die ja dann - wie wir aus Konrads Aufzeichnungen wissen - anderntags durch den von Hauswart Schmocker provozierten Untreue-Verdacht noch verzweifelter wurde.) - Judith hingegen, von Magda ebenfalls konsultiert, Judith verschwieg gar nichts, sondern berichtete der besorgten Magda ausführlich und erregt, Konrad habe grauenhaft ausgesehen, als er die Katze bei ihr abgeliefert habe, käsebleich, totenblaß, wie ein Gespenst etc., und er habe geredet wie ein Irrer, sie habe richtig Angst gehabt, ihn auch gefragt, was ihm fehle etc. etc.
    Kurz: Magda konnte nach dieser Auskunft nur das Schlimmste befürchten.
    Es war für sie ein Schock zu hören, wie tragisch Konrad die eheliche Auseinandersetzung und ihre Flucht nach Bern genommen zu haben schien. Sie liebte ihn doch! Sie hing an ihm. Aber sie hatte sich trotzdem darauf gefreut, für ein paar Wochen allein zu sein. Sie war einfach überrumpelt worden durch seine vorzeitige Rückkehr, und es war ihr unmöglich gewesen, anders als mit Ungeduld und Wut darauf zu reagieren. Man kann nicht immer lieb sein, man hat zuweilen das Recht, sich dem ändern zu entziehen, ihm das erwartete Verständnis zu verweigern, den Anspruch auf Nähe zurückzuweisen. Worte Konrads! Worte, an die Magda sich jetzt erinnerte, ohne daß ihre Schuldgefühle deswegen kleiner geworden wären. Zermürbende Tage folgten. Sie wartete. Rannte Morgen für Morgen zum Briefkasten. Nichts als Drucksachen. Sie traute sich kaum aus dem Haus, aus Angst, Konrad könnte genau dann heimkommen, wenn sie weg war. Ging sie einkaufen, legte sie ein besonders liebes Empfangsbriefchen auf den Küchentisch und stellte einen Mohrenkopf daneben, wofür er eine große, wenn auch nie offen eingestandene Vorliebe hatte. Ein einziges Mal ging sie baden. Einmal mit Judith ins Kino. Und einmal fuhr sie ins Aargauische zu ihrer Schwiegermutter, weil sie mit jemandem Zusammensein wollte, der Konrad nahestand.
    Magda bewunderte Johanna Zündel, fürchtete sich aber auch ein wenig vor dieser ungewöhnlichen Frau, die ihren Sohn ganz allein aufgezogen hatte und ihm trotzdem eine Liebe schenkte, die frei war von verschlingenden Tendenzen. Daß sie den Vater ihres Kindes hatte loslassen müssen, das konnte sie niemals dazu verführen, sich in das Kind zu verkrallen und ihm das ihr Vorenthaltene abzufordern. Überhaupt war ihr alles Fordernde, alles Raffende, Haschende, ängstlich Bewahrende fremd. Und als Konrad und Magda heirateten, hatte Johanna zu ihrer Schwiegertochter gesagt: Hege ihn, aber hege ihn nicht ein! - Und zu ihrem Sohn, dessen Lebensangst sie spürte, hatte sie gesagt: Überfordere deine Frau nicht, mach sie nicht einfach zur Stätte der Zuflucht! -Von dieser Johanna ging eine so bezaubernde Ruhe aus, eine so unaufdringliche Reife, daß Magda sich ihr gegenüber sehr jung und fehlerhaft fühlte. Aber der Besuch tat ihr gut. Zwar wußte auch die Mutter nichts über Konrads Verbleib, doch gelang es ihr, Magda zuversichtlicher zu stimmen und ihr einen Teil ihrer Ängste zu nehmen. Vor allem aber wehrte sich Johanna gegen die Schuldgefühle ihrer Schwiegertochter. Die Frauen - so fand sie - bekämen fast automatisch Gewissensbisse, sobald sie einmal Regungen in sich entdeckten, die nicht in Einklang stünden mit dem Ideal der Hingabe. Die Grundfigur der Mann-Frau-Beziehung - so fand Johanna - bestehe seit Odysseus darin, daß der Mann in den Krieg ziehe oder kegeln gehe, wenn er ohne Frau sein wolle, aber gleichzeitig

Weitere Kostenlose Bücher