Zuendels Abgang
kreidebleich. Besonders wächsern wirkte die Stirn, die infolge des totalen Haarschnitts viel höher als sonst erschien. Stark veränderte ihn seine Hohlwangigkeit. Die Backenknochen sprangen hervor, die Augenhöhlen traten etwas zurück, sein Blick war fremd. Da stand er, mager, schlaff, verlegen, wortlos, und roch nach Schweiß und Schnaps.
Endlich fragte er die gelähmte Magda mit schwacher Stimme: Was machst denn du da?
Auf dich warten! rief sie, fiel ihm weinend um den Hals und drückte ihn an sich. Mein Gott, wie hab ich dich vermißt, wie hab ich Angst gehabt um dich, lieber lieber Mann!
Konrad umfing sie nicht, versuchte aber auch nicht, sich von ihr zu lösen, stand einfach mit baumelnden Armen da und sagte: Schon recht. Magda zog ihn in die Stube. Komm, komm, was ist mit dir, was ist mit dir um Himmels willen? Bist du krank? Ja du bist krank, was ist mit dir? Die Fußsohle eitert, sagte Konrad, sonst geht es recht, aber ich stinke.
Er redete wenig und erzählte nichts. Magda ging behutsam mit ihm um. Sie vermied es, ihn auszufragen. Zum Glück aß er eine Kleinigkeit und schlug auch ein Schaumbad nicht aus. Sie saß auf dem Rand der Badewanne, streichelte seinen Kopf und sagte: Mir gefällt deine neue Frisur. Er sagte: Schon recht.
Morgen früh, erklärte Magda, rufe ich die Schule an und melde dich ab. Und dann wirst du gesundgepflegt! Konrad fragte: Ist dein Bruder abgereist? Aber Koni, sagte sie, seit wann habe ich einen Bruder? Ich hab doch keinen Bruder! So, sagte er abwesend. Magda ließ sich ihren Schreck über Konrads Verwirrung nicht anmerken. Sie sagte: Denk dir, ich habe zu rauchen angefangen, ich glaube, vor lauter Sehnsucht nach dir! Hast du in Italien auch hie und da an mich gedacht? - Ja, sagte er.
Nach dem Bad schien er sich wohler zu fühlen. Im Morgenrock setzte er sich an den Stubentisch und trank einen Kamillentee. Er fragte: Hat man einen neuen Lampenschirm angeschafft? - Der ist doch nicht neu, widersprach Magda, den hatten wir schon immer! - Konrad sagte: Früher sah er treuherziger aus. - Sie lenkte ab: Du, ich hab dir einen leichten, ärmellosen Sommerpullover gestrickt, möchtest du schnell hineinschlüpfen? - Er sagte: Der Sommer ist schon recht, aber die Fliegen. -Komm, probier ihn doch schnell, sagte Magda, das Pyjama kannst du ja anbehalten! - Er zog den Morgenrock aus, und sie holte den Pulli. Er schlüpfte hinein. Nach einer Weile sagte er: Das geht nicht! - Magda fragte: Aber warum denn nicht, er paßt doch prima, gefällt er dir nicht? - Konrad sagte: Ich glaube, der Wind pfeift hindurch.
Magda mußte sich das Lachen und das Weinen verbeißen und zündete sich eine Zigarette an. Dann sagte sie: Also, bist du damit einverstanden, daß ich dich morgen früh krank melde? - Nein! rief er, das fehlte noch! Ich habe ja morgen nur zwei Lektionen, Geschichte und nochmals Geschichte, ich kann das schon! - Bist du denn vorbereitet? fragte Magda. Er antwortete: Zweiunddreißig Jahre lang war ich strebsam und manierlich. Wo Trägheit wohnt - so glaubte ich - da senkt sich das Gebälk. Und ich war ein emsiger Knecht, und es senkte sich trotzdem.
Tränen glitten über sein unbewegtes Gesicht. Magda unarmte ihn und sagte leise: Komm, ich tu dich ins Bett! - Die Mappe muß ich noch packen, sagte er. Er stellte sich vor das Büchergestell, zupfte den einen und ändern Band heraus, blätterte ein wenig darin, versorgte ihn wieder. Ein Taschenbuch mit blauem Umschlag behielt er länger in den Händen. - Hör mal Magda, hör mal! sagte er plötzlich. - Ja, ich höre. - Er las: »Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten, wie der Diamant im Schacht. Wir fragen umsonst, wie wir herabgekommen, um wieder den Weg hinauf zu finden.« Er blätterte weiter und fragte: Hörst du zu? - Ja, Liebster, antwortete sie. - Er las: »Wenn ich ein Kind ansehe und denke, wie schmählich und verderbend das Joch ist, das es tragen wird, und daß es darben wird, wie wir, daß es Menschen suchen wird, wie wir, fragen wird, wie wir, nach Schönem und Wahrem, daß es unfruchtbar vergehen wird, weil es allein sein wird, wie wir, daß es - o nehmt doch eure Söhne aus der Wiege, und werft sie in den Strom...« Schön, nicht wahr? meinte Konrad, aber Magda sagte: Ich wünsche mir ein Kind! - Jetzt plötzlich? fragte er. - Ja, antwortete sie, seit zwei Wochen wünsche ich mir ein Kind. Wortlos steckte er ein paar Bücher in seine Mappe. Er fragte: Wie spät ist es eigentlich? - Zehn vor zwölf,
Weitere Kostenlose Bücher