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Zuendels Abgang

Zuendels Abgang

Titel: Zuendels Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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sagte sie, soll ich dich wirklich um halb sieben wecken? - Wozu denn? murmelte er und sagte, weil Magda ihn fragend anschaute: Ich setze keinen Fuß mehr in diese teuflische Schule! - Gut, meinte sie, dann können wir morgen ja ausschlafen.
    Er ging noch einmal auf die Toilette. Als er zurückkam, sagte er traurig: Das WC-Papier wird auch immer lausiger. Möchtest du allein schlafen? fragte sie schüchtern, und er antwortete: Wahrscheinlich ist es ratsam. Magda begleitete ihn noch in sein Zimmer und deckte ihn zu. Konrad flüsterte: Ich kann ihn in keinem Lexikon finden! - Wen denn? fragte sie - Einen Mann namens John Knickerbocker! - Und, was ist mit dem? - Von dem, sagte Konrad, von dem soll ein Sätzchen stammen, das mir furchtbar gefällt, obwohl es nur aus drei Wörtern besteht.
    Magda wartete geduldig auf die Preisgabe dieses Sätzchens, merkte aber bald, daß Konrad in einen tiefen Schlaf gefallen war.

    Später lag sie im Bett und weinte. Es war ihr, als stemme sich ein Knie auf ihre Kehle.

    Kurz nach sechs wurde sie von einem klirrenden Geräusch geweckt. Sofort stand sie auf. Am Stubentisch saß Konrad, angezogen. Seine Hände zitterten. Vor ihm stand ein großes, randvoll mit Cognac gefülltes Glas. -Das trinkst du nicht! schrie Magda. - Das trinke ich, sagte Konrad heiser, das muß ich trinken, sonst kann ich nicht Schule geben! - Sie ließ sich aufs Sofa fallen und sagte: Du bist verrückt. - Er nahm das Glas und trank es leer. Dann sagte er: Siehst du, wie ruhig meine Hände jetzt sind, so gern hast du sie früher gehabt, diese Hände, so gern. - Ich habe sie noch immer gern, schluchzte Magda, aber du darfst dich nicht ruinieren, bitte bitte bleib zu Hause, du bist so krank, ich will dich pflegen, ich liebe dich! - Konrad sagte: Ich war dein Absprungbalken, und du warst mein Kachelofen, und beides war schlecht, und beides war falsch. - Du lügst! rief Magda, du warst nie mein Absprungbalken, und wenn ich dein Ofen war, so war ich es gern! - Du lügst, brüllte Konrad, du solltest dich schämen, Schmocker hat mir doch alles erzählt! - Was hat er dir erzählt, dieser schmierige Kerl? - Allerlei, sagte Konrad, aber darüber wird jetzt nicht mehr geredet, das ist vorbei, jetzt muß man alles nehmen, wie es kommt. Danke für deinen Abschiedsbrief! - Für welchen Abschiedsbrief? fragte Magda. - Du hast mir doch, bevor du zu Heien nach Bern, zu Heien nach Bern reistest, einen Brief auf den Küchentisch gelegt, eine umfassende Mängelliste meiner Person! - Ach Gott, sagte Magda, begreif mich doch, verzeih mir doch! - Da gibt es gar nichts zu verzeihen, sagte er, du hattest vollkommen recht, ich war ein Monstrum, aber auch du bist ein Mensch aus Fleisch und Blut und ändern Mängeln, und es kann sein, daß wir beide nicht in den Himmel kommen! Ich friere, sei warm. - Ich bin doch da, sagte Magda, und sie stand auf und küßte verzweifelt sein blasses Gesicht.

    Konrad ging in die Schule.
    Es war Magda nicht gelungen, ihn zurückzuhalten. Lange sei er noch vor dem Spiegel im Badezimmer gestanden und habe zwanzig oder dreißig Mal den immer gleichen kuriosen Vers heruntergeleiert, den sie - Magda - nie mehr vergessen werde: »Auf des Mannes Stirne thronet hoch als Königin die Pflicht.«

    22

    Vor Beginn der Lektion saß Zündel im Lehrerzimmer, blickte vor sich hin und schien entschlossen, sich von niemandem anreden zu lassen. Vollständig konnte er sich der allgemeinen Händeschüttlerei zwar nicht entziehen, aber wenn es ein Kollege darüber hinaus noch wagte, seinen Haarschnitt zu glossieren, so wandte sich Zündel mit steinerner Miene ab.

    Die Schüler kicherten erst recht. Einer fragte, ob er -Zündel - unter das Tram gekommen sei. Ein anderer fragte, ob er die Rekrutenschule wiederholen müsse oder zum Buddhismus übertreten wolle. Das waren freundschaftliche Neckereien. Aber auch hier kein Lächeln! Zündel schwieg, bis auch die Klasse schwieg, bis auch der letzte spürte, daß der Mann, der wie eine Säule vor ihnen stand, für Lustbarkeiten nicht zu haben war.
    Schließlich sagte Zündel leise: Gebt nur acht, gebt nur acht, niemand ist heute geweiht von Mutterschoß an, und ein Schermesser kommt noch auf jedes Haupt. Dann setzte er sich und nahm zwei Bücher aus seiner
    Mappe. - Ich will euch einstimmen, sagte er, ich will euch jetzt einstimmen in das siebzehnte Jahrhundert. Frisch und ausgeruht und haselnußbraun nehmen wir den Dreißigjährigen Krieg in Angriff. Aber zuerst will ich euch

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