Zuflucht Im Kloster
weggeworfen und rieb sich mit schmutzigen Fingern die schläfrigen Augen.
Bruder Cadfael hob die traurigen Überreste auf und untersuchte den eingedrückten Korpus und die herabhängenden Saiten. Da war nichts zu machen – es war alles, was von dem verlorenen Rebec noch übrig war. Er nahm ihn mit und konnte sich nur zu gut vorstellen, welchen Schmerz der Zustand des Instrumentes seinem unglücklichen Besitzer bereiten würde. Angenommen, Liliwin kam mit heiler Haut aus dieser Geschichte heraus, dann besaß er keinen Penny und hatte nun auch keine Möglichkeit mehr, sich Geld zu verdienen.
Aber das war noch nicht alles, und Cadfael wußte es schon, noch bevor er das zerstörte Instrument in Liliwins zitternde Hände legte und sah, wie sich Trauer und Verzweiflung auf seinem Gesicht ausbreiteten. Der Junge drückte den zerbrochenen Rebec ans Herz, wiegte ihn in seinen Armen, beugte sich über den zersplitterten Korpus und brach in Tränen aus. Er trauerte nicht so sehr einem verlorenen Eigentum nach als vielmehr einer toten Liebsten.
Cadfael setzte sich in die nächste Nische des Scriptoriums und sagte nichts, bis der erste Schmerz sich gelegt hatte und Liliwin reglos, mit hochgezogenen Schultern dasaß und seinen ermordeten Liebling an sich drückte.
»Es gibt Leute«, sagte Cadfael dann leise, »die sich auf die Kunst verstehen, ein solches Instrument zu reparieren. Ich gehöre nicht zu ihnen, wohl aber Bruder Anselm, unser Vorsänger. Wir könnten ihn bitten, sich deine Fiedel einmal anzusehen. Vielleicht kann er sie wieder zum Singen bringen.«
» Das hier ?« Liliwin fuhr herum und zeigte ihm die armseligen Oberreste. »Seht es Euch doch an – das taugt nur noch zum Verbrennen! Wer sollte das schon noch reparieren können?«
»Weißt du das so genau? Ich jedenfalls bin mir nicht so sicher, daß es sinnlos ist. Was ist denn schon dabei, einen Mann zu fragen, der sich in diesen Dingen auskennt? Und wenn dein Rebec wirklich nicht mehr zu reparieren ist, könnte Bruder Anselm dir einen neuen machen.«
Ungläubig und verbittert starrte Liliwin ihn an. Warum sollte er auch annehmen, daß jemand sich die Mühe machen würde, einem so verachteten und niedrigen Menschen wie ihm einen Dienst zu erweisen? Die Brüder dieses Klosters hatten ihm Unterkunft und Nahrung zu gewähren, aber mehr auch nicht – und selbst dies taten sie wahrscheinlich nur, weil es ihre Pflicht war. Und in der Welt draußen hatte ihm nie jemand einen Gefallen getan, der mehr als eine Brotrinde gekostet hatte.
»Als ob ich je für einen neuen Rebec bezahlen könnte!
Warum macht Ihr Euch über mich lustig?«
»Du vergißt, daß wir keine Kaufleute sind. Wir haben keine Verwendung für Geld. Aber zeig Bruder Anselm ein gutes Instrument, das beschädigt ist, und er wird versuchen, es heil zu machen. Zeig ihm einen guten Musiker, der sein Instrument verloren hat, und er wird alles tun, um ihm ein neues zu verschaffen. Bist du ein guter Musiker?«
»Ja!« antwortete Liliwin stolz. Zumindest in diesem einen Punkt kannte er seinen Wert.
»Dann beweise es ihm, und er wird für dich tun, was er kann.«
»Meint Ihr das im Ernst?« fragte Liliwin, hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Zweifel. »Wollt Ihr ihn wirklich fragen?
Vielleicht wäre er bereit, mir seine Kunst beizubringen.« Er zögerte, und sein Gesicht verdüsterte sich mit einer Plötzlichkeit, die mehr als viele Worte sagte. Jedesmal wenn er Pläne für die Zukunft machte, wurde ihm im nächsten Augenblick von neuem bewußt, daß es für ihn vielleicht gar keine Zukunft mehr gab. Fieberhaft suchte Cadfael nach etwas, mit dem er Liliwin von seiner momentanen Verzweiflung ablenken konnte.
»Glaube nur nicht, daß du keine Freunde hast! Das wäre einfach undankbar, wo du doch eine Frist von vierzig Tagen hast, Hugh Beringar deinen Fall untersucht und zumindest ein Mensch zu dir hält und nichts von dem glaubt, was gegen dich vorgebracht wird.« Liliwin sah auf. Seine Zweifel waren ihm noch anzusehen, aber wenigstens dachte er nicht mehr an den Galgen, der ihn erwartete. »Du erinnerst dich vielleicht an sie – es ist ein Mädchen namens Rannilt.«
Liliwins Gesicht wurde blaß und hellte sich gleichzeitig auf.
Es war das erste Mal, daß Cadfael ihn lächeln sah, und selbst jetzt war dieses Lächeln schwach und unsicher, als fürchte er, diese Hoffnung werde, sobald er die Hand danach ausstreckte, dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne.
»Habt Ihr sie gesehen? Habt Ihr mit
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