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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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zu Angus.
    »Heimservice ist gar keine so schlechte Idee.« Hugh schenkte sich ebenfalls einen Scotch ein. »Hey, Angus, paß auf mit der Stereoanlage. Was hast du denn vor?«
    »Ich habe Kassetten mit Nine Inch Nails, Skinny Puppy und Revolting Cocks.« Angus machte sich weiter an Hughs teurer Stereoanlage zu schaffen. »Die Dinger sind schon ein paar Jahre alt. Ist gar nicht so leicht, auf dem laufenden zu bleiben, wenn man die ganze Zeit unterwegs ist.«
    »Vielleicht solltest du das Radio einschalten«, schlug ich vor. »Es gibt einen Kurzwellensender, wo sie immer die neuesten internationalen Hits spielen.«
    »Ich mag Synthie-Musik, keinen Pop«, sagte Angus.
    »Laß Angus doch hören, was er will«, meinte Hugh in überraschend scharfem Tonfall.
    »Was wollt ihr denn zuerst hören? Revolting Cocks ist ganz gut zum Tanzen, Skinny Puppy ist eher laut, und die Nails kennt sowieso jeder – aber diesen Remix vom Lost Highway -Soundtrack habt ihr vielleicht noch nicht gehört.«
    »Ist mir egal«, sagte Hugh, sank aufs Sofa und schloß die Augen.
    »Gut, dann also Nine Inch Nails.« Angus schob eine Kassette in Hughs ultramodernes Tapedeck, und als Gitarrengejaule daraus hervordrang, trat ich ans Fenster und schaute hinaus.
    Vierzehn Stockwerke unter mir lag die dunkle, schwüle Stadt, in der erst vor ein paar Stunden ein Mann gestorben war. Hier oben in Roppongi Hills hatten wir eine Klimaanlage und hörten einen Song mit dem Titel »Perfect Drug«. Hughs Wohnung war eine ganz eigene Welt, ein Land, für das ich eine befristete Aufenthaltserlaubnis hatte. Ein Ort, an dem ich sein durfte, an den ich jedoch nie richtig gehören würde.

7
    Angus’ Kassette lief immer noch, als ich am nächsten Morgen aufstand. Ich schaltete die Stereoanlage ab, weil ich das Gejaule nicht mehr ertragen konnte, und stapfte in die Küche, um zu frühstücken. Hugh war bereits in die Arbeit gefahren und hatte die Japan Times mit einem auffällig markierten Artikel auf den Tisch gelegt. Darin hieß es, ein Autohändler und eine arbeitslose Ausländerin hätten die Leiche des Antiquitätenhändlers Nao Sakai aus Hita entdeckt. Die Obduktionsergebnisse würden in ein paar Tagen veröffentlicht.
    Ich nippte an meinem Tee und überlegte, was ich tun konnte. Ich konnte zu Hause bleiben und Kunden anrufen, aber das hieß, daß ich mich die ganze Zeit in Gesellschaft von Angus befinden würde. Oder ich konnte ins Polizeirevier fahren und nachsehen, was aus Jun geworden war.
    Nachdem ich ein blaues Baumwollkleid angezogen hatte, das mich – so hoffte ich zumindest – nicht mehr wie eine »arbeitslose Ausländerin« aussehen ließ, sah ich, daß Angus aufgewacht war und im Wohnzimmer eine australische Seifenoper ansah.
    »Ach, du bist auf!« Pflichtbewußt fügte ich hinzu: »Hast du heute schon was vor? Brauchst du Anregungen?«
    »Ich bin noch am Aufwachen, aber später gehe ich vielleicht in den Park und höre mir die Musikgruppen an, die dort spielen«, sagte er gähnend.
    »In den Yoyogi Park?«
    »Yo irgendwas.«
    Ich erinnerte mich an das, was Jun mir erzählt hatte. »Die Stadt hat die dortigen Musikveranstaltungen untersagt. Jetzt darf man nicht mal mehr im Freien Radio hören.«
    »Verdammter Polizeistaat«, murmelte Angus. »Irgendwo müssen sie doch üben.«
    »Angus, ich würde dir wirklich gern helfen, dich über Musikveranstaltungen zu informieren, aber ich habe heute keine Zeit. Hier in der Gegend gibt’s einen guten Plattenladen. Vielleicht kann dir einer der Verkäufer einen Tip geben, wo was los ist.«
    »Hör auf, mich zu bemuttern. Ich komme mir ja schon vor wie daheim, wo meine Mutter und meine Schwestern mir ständig sagen, was ich zu tun und zu lassen habe«, meinte er.
    Ich lehnte mich gegen die Tür und fragte: »Reist du deswegen die ganze Zeit in der Weltgeschichte herum? Weil du deine Familie nicht leiden kannst?«
    »Meine Familie mag mich nicht«, sagte Angus. »Ich bin der kleine Bruder, und ich kann ihnen nichts recht machen. Stell dir mal vor, wie das ist, wenn alle immer bloß von deinem großen Bruder reden. Er ist der große Geschäftsmann und der Golfcrack – dabei ist er nie da.«
    »Aber du bist doch auch nicht auf den Kopf gefallen. Ein paar ziemlich gute Internate hatten Interesse an dir«, sagte ich.
    »Ja, aber sobald ich drin war, haben sie mich auch schon wieder rausgeschmissen«, sagte Angus, nicht ohne Stolz. »Ich hatte einfach zuviel übrig für Sex, Drogen und Rock ’n Roll … Hat Shug dir

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