Zugriff
wie zugeschnürt, und ich musste mit aufsteigenden Tränen kämpfen. Dann atmete ich kräftig durch und überbrachte ihr mit gepresster Stimme die traurige Nachricht. Dass ich der Schütze war, das verschwieg ich. Ich hätte sie gerne getröstet, aber ist das möglich bei einer Mutter, die soeben ihren Sohn verloren hat? Schweigend und deprimiert verließ ich die Wohnung.
Auf der Dienststelle angekommen bestätigten Vorgesetzte, Psychologe und Staatsanwalt, dass mein Vorgehen völlig korrekt gewesen sei. Trotzdem würde mich die Geschichte noch lange beschäftigen – und durch das relativ große Medieninteresse auch verfolgen. Natürlich wurde der Fall dort nicht nur zu meinen Gunsten diskutiert. Er sei ein so lieber Mann gewesen, konnte man lesen. Aber es kam auch heraus, dass er unter immer wiederkehrenden schizophrenen Schüben litt und dann gewalttätig wurde. Sogar gegen seine Mutter, die deshalb seine erneute Unterbringung in der Psychiatrie beantragt und damit das Unglück ins Rollen gebracht hatte. Es war jedenfalls eine schlimme Erfahrung und ein Geburtstag, den ich nie im Leben vergessen werde.
Zu den denkwürdigsten Erlebnissen meiner Zeit beim SEK gehörte zweifellos ein Coup, der 1981 im beschaulichen Münchner Stadtteil Trudering stattfand. Denkwürdig in vielerlei Hinsicht. Wir sollten eine Bande dingfest machen, die schon lange ihr Unwesen trieb. Taten wir am Ende auch, aber eben mit allerlei Komplikationen. Was uns im Nachhinein neben viel Lob manchen Tadel eintrug. Jedenfalls stellte dieser Einsatz sicherlich eine der härtesten Bewährungsproben und eine der spektakulärsten Aktionen dar. Im Gegensatz zu den meisten Zugriffen, die aus der Situation heraus im Hauruckverfahren erfolgen müssen, war dieser hier von langer Hand geplant.
Ich war inzwischen seit vier Jahren bei der Truppe, leitete als junger Polizeioberkommissar eine der vier Gruppen mit je zehn Mann und konnte bereits auf zahlreiche ebenso schwierige wie erfolgreiche Einsätze zurückblicken. Was natürlich alle Gruppenführer von sich behaupteten und deshalb sich und die eigenen Leute für die beste Mannschaft hielten. Bei aller Kameradschaft und allem Teamgeist gab es dieses Konkurrenzdenken, und solange es sich nicht ins Negative kehrte, beflügelte es die Leistungen.
Deshalb waren wir schwer enttäuscht, als wir bei diesem Fall nicht erste Wahl waren, sondern einer anderen Gruppe den Vortritt lassen mussten. Das Raubdezernat hatte um Unterstützung für den geplanten Schlag gegen eine mehrköpfige Bande nachgesucht, die bereits seit längerer Zeit überwacht wurde. Keine Bande im Sinne einer vergleichsweise harmlosen Gruppierung von auf Abwege geratenen Jugendlichen, sondern eine richtige kriminelle Vereinigung. Mittlerweile wurde ihnen eine ganze Reihe von Straftaten, zumeist räuberische Überfälle, zur Last gelegt. Überregional. Nur hatte man ihnen bislang nie etwas nachweisen können. Zumindest nicht genug, um sie zu überführen.
Dann wendete sich das Blatt. Das zuständige Fachkommissariat erhielt von mehreren Informanten konkrete Hinweise auf einen weiteren Raubzug, dessen Ziel eine Bank im Hunsrück sein sollte, die bereits vor einem Monat überfallen worden war und in kriminellen Kreisen offenbar als leichte Beute galt. Damals nämlich konnten die Täter mit ihrer Beute unerkannt entkommen.
Diesen geplanten Überfall nun sollten wir verhindern. Nicht etwa im Hunsrück, sondern in München. Denn auch diese Information war dem Raubdezernat zugetragen worden: dass sich die fünf Bandenmitglieder im Stadtteil Trudering bei ihrem Rädelsführer treffen wollten, um am Abend gemeinsam schwer bewaffnet in Richtung Rheinland-Pfalz aufzubrechen.
Im Polizeipräsidium liefen die Einsatzvorbereitungen auf Hochtouren. Nach längeren Diskussionen entschloss man sich, der Bande bei der Abfahrt das Handwerk zu legen. » Der Zugriff muss noch in München erfolgen«, so die Vorgabe des für den Gesamteinsatz zuständigen Polizeiführers. Vorausgesetzt, dass dadurch kein Unbeteiligter gefährdet wurde. Leicht gesagt, dachte ich mir, denn in Wirklichkeit implizierte diese Order einen hoch komplizierten Einsatz, zumindest was das SEK anging.
Warum? Wenn Unbeteiligte unter keinen Umständen gefährdet werden durften, verbot sich ein Zugriff in der Wohnung. Man konnte schließlich nicht wissen, ob sich auch andere Personen dort aufhielten. Hinzu kam, dass man es mit sechs schwer bewaffneten Männern zu tun haben würde. Widerstand war
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