Zugriff
nach dem bereitzustellenden Fahrzeug fragte, entwickelten wir zwei Zugriffsvarianten.
Die eine setzte darauf, dass erneut eine Geisel zur Toilette ging. Wenige Minuten später sollten unsere Leute laut an die Tür des Personaleingangs klopfen. Falls der Täter selbst nachschaute, könnte man ihn an Ort und Stelle überwältigen. Die andere Variante sah vor, in dem kleinen Kassenraum zuzugreifen, sobald unser Beobachter und die Präzisionsschützen meldeten, dass er sich dort allein aufhielt. Zwei Gruppen sollten dann gleichzeitig in den Schalterraum vordringen, die eine vom ersten Stock, die andere vom Personaleingang aus. Alle fieberten wir einem Zugriff entgegen, egal welchem. Hauptsache, es war bald vorbei.
Eine Bankangestellte, die eigens vorbeikam, um sich nützlich zu machen, raubte uns alle Illusionen Plan zwei betreffend. Sie erklärte uns nämlich, dass es durch die Verglasung des Kassenraums zu Spiegelungen komme und der genaue Standort einer Person nicht einwandfrei auszumachen sei. Damit war diese Option vom Tisch.
Inzwischen war es bald 22 Uhr, und unverändert befanden sich drei Geiseln in der Gewalt des Täters. Nach längerer Funkstille spitzte sich die Lage unvermittelt dramatisch zu, als der Bankräuber plötzlich auf seine Forderungen nach Geld und Fluchtfahrzeug zurückkam. Sonst werde er einer Geisel ins Knie schießen, drohte er.
In diesem Moment beschlossen wir, nicht länger zu warten. Nur musste eine neue Zugriffsvariante her. In unserer kommandointernen Einsatzstelle diskutierten und verwarfen wir alle möglichen Ideen. Unsere Köpfe rauchten. Endlich hatten wir’s gefunden: einen Plan, der auf einer Ablenkung basierte und damit stand und fiel, dass der Geiselnehmer mitspielte.
Inzwischen wussten wir zuverlässig, von welchem Telefon aus die Gespräche geführt wurden, und das wollten wir uns zunutze machen. Sobald der Apparat klingelte und der Geiselnehmer abhob, sollte der Zugriff erfolgen. Eine riskante Sache, aber immerhin bereiteten sich unsere Leute seit sechs Stunden innerlich auf einen solchen Extremfall vor. Es war überdies höchste Zeit, denn Geräusche im Erdgeschoss wiesen eindeutig darauf hin, dass die Hintertür verbarrikadiert werden sollte. Genau jener Eingang, hinter dem einer unserer Zugriffstrupps wartete.
Die Zeit für weiteres Planen und Überlegen war vorbei. Die Einsatzleitung beauftragte den Verhandlungsführer, auf der Stelle anzurufen und den Geiselnehmer unter irgendeinem Vorwand möglichst lange am Telefon zu halten. Der Kollege machte seine Sache richtig gut, schwadronierte mit dem Gangster über das geforderte Fahrzeug und den Geldbetrag. Das Ablenkungsmanöver funktionierte, die Wachsamkeit des Bankräubers ließ nach.
Viel zu spät merkte er, dass von hinten unsere Männer eindrangen, und dann waren sie auch schon bei ihm, packten ihn mit geübten Griffen, banden Hände und Füße zusammen. Gleichzeitig schlug ein anderer ihm die Waffe aus der Hand, und ein weiterer riss ihm die Maske vom Kopf. Ein ängstliches Gesicht kam zum Vorschein. Überhaupt wirkte der ganze Mann fast wie ein Häufchen Elend. Doch angesichts der Ängste, die seine Geiseln auszustehen hatten, war Mitleid kaum am Platz.
Ich befand mich unmittelbar hinter den Zugriffskräften und hörte die Kommandos des zuständigen Gruppenführers: » Geiseln raus! Vorsicht, Täter hat mit Sprengstoff gedroht. Durchsuchen und Abführen!« Dann über Funk die offizielle Meldung: » Täter festgenommen, Geiseln unverletzt befreit!« Endlich, nach all den Stunden des Wartens und der Ungewissheit. Im Hintergrund hörte man Applaus und Ausrufe der Freude. Alle waren sichtlich erleichtert, dass eine nicht ganz einfache Geiselnahme mit Erfolg beendet werden konnte. Aber was war und ist schon einfach, wenn man es mit Gewaltkriminalität zu tun hat?
Im Nachhinein stellte sich übrigens heraus, dass der Mann bei Licht besehen ein kriminelles Leichtgewicht war. Er hatte auf Bali gelebt und wollte dorthin zurück. Dafür brauchte er Geld. Der Banküberfall war keine spontane Tat, sondern von langer Hand geplant, doch er verstand sich nicht wirklich auf dieses Geschäft. Allerdings hatte er wirkungsvoll geblufft, obwohl es sich bei seiner Waffe bloß um einen Schreckschussrevolver und bei dem angeblichen Sprengsatz um eine leere Drohung handelte. Trotzdem mussten wir von anderen Voraussetzungen ausgehen. Wenn es um den Schutz Unschuldiger ging, hatten Spekulationen und Vermutungen keinen Platz. Bei den
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