Zugriff
wieder verharrten unsere Leute, lauschten in die Dunkelheit. Es gab hier unten so viele Zugänge und Nischen. Dann eine verschlossene, aber nicht versperrte Kellertür. » Begrüßungsschüsse« hallten von den Wänden wider, als die Männer vom Notzugriff sie einen Spaltbreit öffneten. Kugeln prallten gegen die gepanzerten Schutzschilde. Sie selbst hingegen sahen, als sie einen Scheinwerfer auf ihn richteten, nur noch seine Silhouette in einer Kellernische verschwinden.
Aufgrund seiner Ortskenntnisse war der Täter eindeutig im Vorteil. Deshalb sollte jetzt zunächst ein Polizeihund zum Einsatz kommen. Vorsichtig lotste man den Hundeführer, der ebenfalls dem SEK angehörte, mit weiteren Kollegen zum Notzugriffstrupp. Anspannung lastete auf allen. Eine Jagd in einer verwinkelten Tiefgarage mit unzähligen Kellerausgängen war nicht gerade erste Wahl. Und was hatte der Täter vor, wo hielt er sich versteckt?
Es war ein Vabanquespiel. Vorsichtig wurde die Tür geöffnet und mit einem Schutzschild abgedeckt, während andere mit starken Taschenlampen die Gänge ausleuchteten. Der Hundeführer stand in gebückter Haltung da, seinen Hund dicht neben sich am Halsband haltend. Er flüsterte unverständliche Worte, ein Ritual. Zwischendurch war kurz der Täter in einer etwa 20 Meter entfernten Nische zu sehen, wich aber sofort in den Schatten zurück. Trotzdem wussten unsere Männer jetzt, wo er steckte.
Die Ereignisse überstürzten sich. Der Hundeführer ließ das Halsband los und gab damit für den belgischen Schäferhund das Kommando zum Losrennen. Mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit schnellte das Tier vorwärts, dann ein kurzer Aufschrei und zwei Schüsse. Die Wartenden ahnten Schreckliches. Der speziell ausgebildete Kampfhund packte zwar einen Arm des Täters, doch ein Schuss aus der Pistole in der anderen Hand tötete ihn. Die Pumpgun allerdings verlor Erwin K. bei diesem Angriff. Sie blieb auf dem Betonboden zurück, als er in dem dunklen Kellerlabyrinth verschwand. Nicht ohne jedoch erneut auf die vorrückenden Notzugriffskräfte zu feuern.
Als Nächstes probierte man es mit Pyrotechnik. Auch das durchschaute der Täter und ließ sich nicht provozieren, seine Munition zu verschießen. Außer einem Höllenlärm und dicken Rauchschwaden, die die Sicht behinderten und ein gespenstisches Bild erzeugten, kam nichts dabei heraus. Dann fiel eine Stahltür ins Schloss, und Ratlosigkeit machte sich breit. Deprimiert zogen sich alle erst einmal mit dem toten Vierbeiner zurück, um das eigene Vorgehen neu zu überdenken. Wie sollte man diesem zu allem entschlossenen Täter beikommen und ihn aus seinem Bau locken? Nach wie vor strebte der Einsatzleiter eine gütliche Lösung an. Zum Glück halte Erwin K. ja keine Geisel mehr fest, meinte er. Was sich jedoch schnell ändern sollte.
Während SEK und Einsatzleitung noch diskutierten, schlich sich der Täter unbemerkt hinter die auf der Straße wartende Verhandlungsgruppe. Setzte deren Leiter den Lauf seiner Pistole an den Kopf, packte ihn am Oberarm und zog ihn Richtung Tierpark mit sich davon. Wie er die Tiefgarage verlassen konnte, wurde nie geklärt, vermutlich über eine Verbindung zum Nebenhaus.
Nachdem sich der gekidnappte Polizist ein wenig vom ersten Schreck erholt hatte, besann er sich auf seine exzellenten Kenntnisse in psychologischer Verhandlungsführung, versuchte seinen Entführer in ein Gespräch über Familie und Kinder zu verwickeln. Nichts. Ganz im Gegenteil: Das Thema schien Erwin K. zu verärgern. Immer wieder ließ er sein Opfer hinknien, drückte ihm die Waffe an den Kopf und schrie: » Ich knall ihn ab!« Eine kaltblütige und höhnische Inszenierung für die bayerische Elitetruppe, die bislang an ihm gescheitert war. Jetzt folgte man ihm mit einem gepanzerten Sonderwagen. Fünf Mann, Zugriffskräfte und Präzisionsschützen, die aus einem Abstand von etwa 30 Metern das Geschehen beobachteten. Mehr konnten sie nicht tun – alles andere wäre zu gefährlich gewesen.
Inzwischen war es bald fünf in der Früh, aber der Jahreszeit entsprechend nach wie vor stockdunkel. Nur im Scheinwerferlicht ließen sich Täter und Geisel verfolgen, die sich nunmehr auf die Isarauen zubewegten. Wieder musste der Verhandlungsführer niederknien, während Erwin K. Schüsse auf den Panzerwagen abgab. Erst einen, dann weitere als Antwort auf die Aufforderung, sich zu ergeben und die Geisel freizulassen. Das brachte die Entscheidung für den finalen Rettungsschuss.
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