Zugriff
Ermittlungen der Kripo kam außerdem heraus, dass unser verhinderter Bankräuber zeitweilig psychiatrisch behandelt worden war, was zusätzlich einiges erklärte. Und noch ein ziemlich bizarres Motiv förderte man mutmaßlich zutage. Nicht um Geldbeschaffung sei es primär gegangen. Der Mann habe es darauf angelegt, in einem spektakulären Showdown von der Polizei erschossen zu werden. Offenbar nach dem Motto » Einmal berühmt sein«. Acht Jahre musste er für diese Verirrung hinter Gitter.
Wie immer fuhr das SEK nach beendetem Einsatz zunächst zur Dienststelle zurück, um in einer Nachbesprechung das Ganze zu analysieren, bevor es endgültig heimwärts ging. Für mich allerdings stand an diesem Abend anderes auf dem Plan. Ich musste noch zur Polizeischule Ainring im Berchtesgadener Land, wo ich als Referent für Geisellagen einen Lehrauftrag innehatte.
Gegen Mitternacht fuhr ich los, inzwischen todmüde und ausgelaugt, denn ein Geiseldrama stellt für jeden beteiligten Polizisten eine gewaltige physische und psychische Belastung dar. Allein schon dauerhaft vollste Konzentration zu bringen geht an die Substanz. Und das über Stunden. Hinzu kommt die Angst, Fehler zu begehen und die Geiseln zu gefährden. Keiner weiß schließlich den Ausgang so einer prekären Situation vorherzusagen. Man arbeitet regelrecht ins Ungewisse und kann nur auf einen glücklichen Ausgang hoffen.
Während ich bei moderatem Tempo über die ziemlich leere Autobahn Richtung Berge fuhr, ließ ich in Gedanken das mehr als sechsstündige Geiseldrama noch einmal Revue passieren. Obwohl der Einsatz erfolgreich zu Ende gebracht wurde, fragte ich mich kritisch, ob wir alles richtig gemacht hatten. Das tat ich immer, das sollte man auch, denn nach Fehlern zu suchen ist so oder so hilfreich. Selbst dann, wenn sie sich nicht negativ auswirkten. Nur: Was wäre gewesen, wenn?
Ich erinnerte mich an eine heikle Situation. Als der Bankräuber die weibliche Geisel zur Toilette gehen ließ, sah ich kurzfristig den Schatten seiner Maskierung, diesen komischen weißen Sack, den er über den Kopf gestülpt trug. Ich stand zu diesem Zeitpunkt unmittelbar hinter den Zugriffskräften bei der Hintertür. Als wir Geräusche von drinnen wahrnahmen, wichen wir automatisch zurück und versteckten uns in einer Nische. Gott sei Dank blieb der Täter in der Bank. Wenn er nun der Geisel gefolgt wäre, nach draußen geschaut und uns entdeckt hätte? Eine Konfrontation wäre unvermeidlich gewesen und der Einsatz von Schusswaffen vermutlich ebenfalls. Waren wir zu nahe dran gewesen? Hätten wir uns noch ungesehen zurückziehen können? Eine Frage, die wir nicht bedacht hatten. Zumindest können nachträgliche Einsichten helfen, es beim nächsten Mal besser zu machen. Aus diesem Grund waren auch die Nachbesprechungen sehr wichtig, weil nach dem Einsatz immer zugleich vor dem Einsatz war.
Die Uhr zeigte halb zwei, als ich den Pförtner der Polizeischule herausklingelte. » Wo kommen Sie denn her?«, fragte er sichtlich überrascht, hakte meinen Namen auf der Referentenliste ab und reichte mir den Zimmerschlüssel. » Direkt von einer Geiselnahme in München, darüber kann ich morgen gleich referieren«, antwortete ich bloß und strebte nur noch meinem Bett zu. Endlich schlafen. Ich war hundemüde, und die Nacht würde ohnehin sehr kurz sein. Gleich in der Früh musste ich mein Referat halten.
Das Erste, was ich am Morgen zu hören bekam, war ein aufgeregter Bericht von einer Geiselnahme in München, die mit der Erschießung des Täters geendet habe. Ich korrigierte den Seminarleiter: » Niemand ist verletzt worden.« » Aber ja«, beharrte der andere, » es wurde gerade eben im Radio gebracht. Der Täter ist durch einen Präzisionsschuss getötet worden, nachdem er die Erschießung seiner Geisel angekündigt hatte.«
Jetzt wurde ich hellhörig. Was war denn da passiert? Vom Büro aus rief ich unseren Innendienstleiter an. » Ja, stimmt schon. Es gab heute Nacht eine weitere Geiselnahme. Deshalb ist bislang auch kaum jemand da. Es ging alles so schnell, dass man dich gar nicht mehr alarmieren konnte.« Unglaublich: zwei Geiselnahmen in einer Nacht, quasi ein Doppelschlag. Ein paar Stunden später, in einer Pause des Lehrgangs, ließ ich mir von meinem Chef berichten, was sich zugetragen hatte.
Um zwei in der Früh, kurz nach meiner Ankunft in Ainring also, meldete sich ein gewisser Erwin K. über den Notruf 110 bei der Polizei und erklärte kurz und bündig, dass er
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