Zugriff
mit ihm hätten das eindeutig ergeben. Er lasse sich nicht von der Polizei an der Nase herumführen, sagte er mehrmals oder brach zwischendurch Gespräche einfach ab. Trotzdem blieben unsere Leute hartnäckig am Ball, bemühten sich um immer neue Kontaktaufnahmen und erfuhren zumindest Näheres über die Geiseln. Neben zwei Angestellten handelte es sich um drei Kunden, darunter eine Frau.
Noch etwas Interessantes wusste der Verhandlungsführer zu berichten: dass nämlich der Bankräuber sein Ultimatum nicht mehr erwähnte. Die Drohung, dass er nach zweieinhalb Stunden bei Nichterfüllung seiner Forderungen die erste Geisel töten werde. Hatte er das etwa in der Aufregung vergessen? Unser Team hütete sich, ihn darauf anzusprechen. Dennoch stieg die Spannung bei allen Beteiligten, als die festgesetzte Zeit sich ihrem Ende entgegenneigte. Nichts. Erleichtert atmeten wir auf, als hätten wir bereits die erste Hürde genommen.
Dann aber ein neues Problem. Eine der Geiseln klagte über Herzbeschwerden, teilte der Täter mit, er wol lt e jedoch keinen Arzt hereinlassen. War das der Anlass für einen sofortigen Zugriff? Ja, soweit es um diese eine Geisel ging. Nein, wenn man auch an die anderen dachte, denn die würden eventuell unnötig gefährdet. Bevor wir zu einem Entschluss kamen, gab die Verhandlungsgruppe Entwarnung. Man hatte dem Mann eingeredet, dass eine kranke Geisel für ihn eine massive Belastung darstelle. Minuten später öffnete sich die Haupteingangstür, und ein sichtlich gezeichneter Mittdreißiger trat hinaus in die offene Vorhalle. Verdeckt aufgestellte Zugriffskräfte wiesen ihm flüsternd die Richtung, damit er rasch aus dem Schussfeld gelangte.
Seine Beschwerden stellten sich zum Glück als harmlos heraus, sodass er gleich vor Ort von der Kripo befragt werden konnte. Es handelte sich übrigens um Beamte der Mordkommission, die bei Geiselnahmen generell zuständig ist.
Während die befreite Geisel nach Stunden der Angst letztlich außerstande war, hilfreiche Angaben zu machen, kamen diese von völlig unerwarteter Seite. Der Stellvertreter des Filialleiters war soeben im Büro erschienen, um Getränke zu holen, und bestätigte uns, dass unten im Schalterraum der Aufmarsch des Einsatzkommandos unbemerkt geblieben sei. Er selbst war zunächst völlig überrascht von der bewaffneten Präsenz unserer Leute, bewies anschließend aber wirkliche Größe. Er wollte wieder nach unten, weil er sich den anderen Geiseln gegenüber verpflichtet fühlte und von diesen als Vertrauensperson betrachtet wurde. Eine ebenso mutige wie gewagte Entscheidung. Und aus unserer Sicht durchaus positiv, weil seine Flucht die Lage vermutlich unnötig verschärft hätte.
Bevor er mit den Getränken wieder nach unten ging, als sei nichts gewesen, versorgte er uns schnell mit ein paar Informationen. Wir erfuhren, dass der Geiselnehmer sich hauptsächlich im Bereich des östlichen Personaleingangs aufhielt, seine Maske bislang nicht abgesetzt und die Pistole in der Seitentasche seines Arbeitskittels stecken hatte. Für den Fall, dass der Bankangestellte nochmals hochgeschickt würde, wollten wir ihn mit einer » Wanze« ausstatten. Mit einem solchen Abhörgerät ließen sich nicht nur Gespräche verfolgen, sondern auch die jeweiligen Standorte des Täters leichter lokalisieren. Eine große Hilfe für den Zugriff, aber vorerst brachen die Kontakte ab.
Dann neue Aufregung. Der weiblichen Geisel war offenbar erlaubt worden, die Toiletten beim hinteren Eingang aufzusuchen. Dort wo die Zugriffsgruppe wartete. Ohne große Worte zogen unsere Leute die junge Frau, nachdem sie die Tür geöffnet hatte, aus dem Gebäude: » Abpflücken« heißt das im Polizeijargon. Die 25-jährige Kundin, die Übelkeit vorgetäuscht und behauptet hatte, sie müsse sich übergeben, war heilfroh, draußen zu sein. Um eine Überreaktion des Täters zu verhindern, teilte ihm der Verhandlungsführer über Telefon mit, seiner Geisel sei es gelungen, aus dem Gebäude zu fliehen. Erstaunlicherweise reagierte der Mann gelassen und bezeichnete die junge Frau als » hysterische Kuh«. Außerdem werde er sowieso nur eine männliche Geisel mitnehmen, erklärte er.
Positiv an dieser Aussage fanden wir, dass er offenbar die meisten Geiseln gehen lassen würde. Negativ hingegen die Aussicht, dass er tatsächlich seine Flucht erzwingen wollte. Was uns vor die Notwendigkeit stellte, die Geschichte sozusagen in » voller Fahrt« zu beenden. Da er allerdings nicht mehr
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