Zugzwang
Speichers. Aus dem Treppenhaus war ein näher kommendes klapperndes Geräusch zu vernehmen. Joshua öffnete die Tür und glaubte zu träumen. Eine halbe Treppe unter ihm kam Woelke an. Bekleidet mit einer schmierigen Schürze und bewaffnet mit Besen und Kehrblech.
»Wenn es Sie nicht stört, fange ich schon mal an. Von oben nach unten, kennen Sie ja bestimmt.«
Woelke grinste über das ganze Gesicht. Joshua schrie ihn an:
»Es stört aber, Herr Woelke. Sie verschwinden jetzt augenblicklich hier. Wir können hier keine Schaulustigen gebrauchen, verstanden?«
Woelke ließ sein Kehrblech fallen und schluckte. Mit zitternder Stimme antwortete er Joshua.
»Also, das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen. Ich kann mich hier frei bewegen, Sie … Sie …«
»Wenn Sie hier polizeiliche Ermittlungen behindern wollen, nehme ich Sie fest. Und jetzt verschwinden Sie.«
Joshua knallte die Tür hinter sich zu. In Daniels Augen konnte er dessen Gedanken förmlich lesen. So ginge man nicht mit Zeugen um. Er hatte noch den letzten Vortrag im Hinterkopf. Das Bild der Polizei in der Öffentlichkeit und so weiter. Joshua war es im Moment egal. Er hatte Angst vor dem, was ihn erwartete. Die rechte Seite war dunkel. Er suchte einen Lichtschalter. Als er die Wand abtastete, spürte er eine Hand. Fast gleichzeitig wurde es hell. Mitten im Raum stand ein Fahrrad auf Lenker und Sattel. Das Vorderrad fehlte. Ihre Blicke streiften den Lattenrost an der rechten Seite entlang. Der vorletzte Verschlag war nicht wie die anderen mit einem Vorhängeschloss gesichert. Für den Bruchteil einer Sekunde sahen sie sich an, bevor sie zu dem Raum gingen. Daniels Hand bewegte sich zögerlich in Richtung des Holzsplintes. Mit einem Ruck schnellte Joshuas Arm nach vorne und zog den Splint heraus. Er drückte die Tür auf und ging einen Schritt hinein. Seine Knie wurden weich, sein Herz raste. Ihm wurde kalt. Aus dem Halbdunkel des Raumes sah ihn ein Augenpaar an. Der Blick war wie von Panik erfüllt. Die Augäpfel stachen etwas hervor und wirkten wie polierte Kugeln. Joshua trat näher heran. Es war Groding. Er hatte eine Wäscheleine um den Hals. Das andere Ende war an einem Dachbalken befestigt. Groding saß fast auf dem Boden. Seine Beine stiegen zum Körper hin nur leicht an. Sein Hinterteil schwebte eine Handbreit über dem Boden. Daniel lief raus und telefonierte. Joshua stand wie erstarrt vor der Leiche. Der kalte Blick bohrte sich anklagend in seinen Verstand. Irgendwas schien ihn festzuhalten. Verzweifelt bemühte er sich um einen klaren Gedanken. Hier auf diesem Dachboden schien sich gerade das Finale seines persönlichen Desasters abzuspielen. Es kam ihm vor, als öffnete sich der Boden unter ihm und ließ ihn in ein tiefes, dunkles Loch stürzen.
»Die Kollegen sind verständigt, sie kommen sofort«, Joshua zuckte zusammen. Sein Verstand lief wieder an. Er schaute sich in dem kleinen Raum um. Dabei vermied er den Blick auf den Toten. Überall waren Kisten aufgetürmt. Alle schienen mit Zeitschriften und Büchern gefüllt zu sein. Der Fußboden war mit Teppichresten ausgelegt. Daniel zog ihn am Ärmel.
»Lass uns hier rausgehen, wir zertrampeln sonst alle Spuren.«
Joshua sah ihn an. Dieser Satz ließ ihn hoffen.
»Glaubst du denn, es gibt Fremdspuren?«
Daniel zuckte die Schultern und lief auf dem Speicher auf und ab.
»Depressiv wirkte er auf mich jedenfalls nicht. Aber was wissen wir schon von seiner Psyche? Ein Abschiedsbrief liegt da nicht, aber das ist ja auch keine Vorschrift.«
Joshua wusste nicht genau, wie er diese Worte bewerten sollte. Sie taten gut, aber er traute ihnen nicht so richtig. Ein Selbstmord Grodings würde jedenfalls seine Situation garantiert nicht verbessern. Die Medien würden ihn in der Luft zerreißen und es war nur eine Frage der Zeit, bis seine Vorgesetzten dem öffentlichen Druck nachgeben würden. Fakt war nun einmal, dass Groding noch leben könnte, wenn er ihn verhaftet hätte. Sie mussten jetzt so schnell wie möglich die Person finden, mit der Groding sich zuletzt getroffen hatte. Krampfhaft versuchte er, Zusammenhänge zu konstruieren. Sollte Groding tatsächlich etwas mit den Morden zu tun haben, so könnte die unbekannte Person der ominöse Komplize gewesen sein. Es war vieles denkbar. Auch die Tatsache, dass jemand anderes die Wäscheleine um Grodings Hals gelegt hatte. Joshua sträubte sich vor dem Gedanken an einen Selbstmord. Als die Kollegen von der Spurensicherung und der
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