Zugzwang
brachte morgens ihren zehnjährigen Sohn samt Auto zu ihr und lief von dort zum Bahnhof. Es war eine praktische Lösung für die junge Frau. Als allein erziehende Mutter wollte sie nicht ganz auf ein Auto verzichten und ihrer Mutter reichte der Wagen für gelegentliche morgendliche Besorgungen, wenn Randolf in der Schule war. Marlies war sichtlich verwirrt über diese Frage.
»Also … ich hatte irgendwie ein komisches Gefühl. So eine Ahnung, als ob etwas passieren würde. Vielleicht so eine Art siebter Sinn. Jedenfalls hatte ich … ja ich hatte Angst, mit dem Zug zu fahren. Aber ich verstehe deine Frage nicht. Ist es denn so schlimm, ich meine, dass ich zu spät gekommen bin?«
»Ganz und gar nicht. Schlimm oder komisch ist nur der siebte Sinn, den hatten heute Morgen nämlich Millionen andere auch. Hast du kein Radio gehört?«
»Nur beim Frühstück, wie immer. Unterwegs nicht mehr, ich wollte nachdenken.«
Die Mittagspause war zu Ende, als Daniels Handy Mozarts kleine Nachtmusik in einer arg blechern klingenden Vertonung von sich gab. Mit der linken Hand nahm er das Gespräch an, mit der r echten seine Serviette ab.
»Einen Moment«, rief er ins Handy. Er richtete sich auf, schüttelte nicht vorhandene Krümel von seinem Anzug, wischte sich den Mund ab und sprach weiter.
Bönisch und Skopje waren in ein Auto gestiegen und fuhren in Richtung Autobahn. Kalle blieb dran, so seine kurze Mitteilung an Daniel. Joshua nickte zufrieden. Sie verließen den Italiener, als Elsing ihnen vor der Eingangstür begegnete. Sprachlos sah er die drei an.
»Hallo Winnie, auch Hunger?«
Elsing schluckte. Er rang sichtlich nach Worten.
»Das glaube ich jetzt nicht. Bei uns ist die Hölle los. Das Telefon bimmelt ununterbrochen und die Damen und Herren Kollegen gehen gemütlich speisen. Was machst du überhaupt hier?«
Wütend sah er Joshua in die Augen.
»Ich war gemütlich speisen, wie du ganz richtig erkannt hast. Was dagegen? Aber eines interessiert mich: Wenn in der Dienststelle die Hölle los ist, warum geht ihr Leiter dann spazieren?«
Elsing wurde knallrot. Marlies und Daniel traten einen Schritt zurück.
»Das geht dich einen Scheißdreck an! Und wenn ich rauskriege, dass du weiter in dem Fall ermittelst, dann …«
»Reißt du mir persönlich den Arsch auf. Danke, die Mitteilung hat mich bereits erreicht. Morgen bekommt ihr übrigens Besuch vom LKA. Ich habe zu tun. Schönen Tag noch, Winnie.«
Völlig sprachlos stand Elsing Sekunden später alleine vor dem Eingang des Italieners.
»Musste das sein?«
Daniels Stimme hatte einen ungewohnt unfreundlichen Unterton.
»Was meinst du wohl, wer das jetzt ausbaden muss?«
»Sorry, hast Recht. Aber der kriegt sich wieder ein.«
Während sie die Straße überquerten, erklang Mozart erneut aus der Innentasche von Daniels Jackett.
»Was? So ein Mist!«
Joshua begriff sofort.
»Sie haben ihn abgehängt, richtig?«
Daniel nickte. Er steckte sein Handy wieder ein und blickte zum Himmel.
»Sie haben auf einem Rastplatz angehalten. Zwei Minuten später kam ein schwarzer Cadillac und hat Kalle zugeparkt. In dem Moment sind Skopje und Bönisch losgefahren. Der Caddy ist ein Firmenwagen von Schändler. Gefahren hat ihn ein gewisser Norman Hellström.«
»Das ist der Sekretär von Skopje«, erklärte Joshua.
»Das war ja ein Volltreffer«, stellte Marlies fest. Daniel blickte sie fragend an.
»Ja«, erwiderte Joshua, »wir scheinen auf der richtigen Spur zu sein. Würde mich nur noch interessieren, wohin die wollen.«
»Ich tippe mal auf Baker«, meldete sich Daniel zurück.
»Das werden wir ja erfahren, da steht doch Viktor.«
Joshua fuhr in Daniels Wohnung. Er brauchte jetzt eigentlich sein Büro. Zu viele lose Gedanken und Vermutungen mussten zu Papier gebracht werden. Vorher rief er noch Jack beim LKA an und teilte ihm die Ergebnisse von Marlies mit. Er klang sehr interessiert und versprach, sich sofort mit den Amerikanern in Verbindung zu setzen.
Joshua öffnete das Fenster von Daniels Büro bis zum Anschlag, stellte eine leere Getränkedose, die er aus dem Abfalleimer zog, auf den Schreibtisch und zündete sich eine Zigarette an. Im Stau hatte er sich aus Langeweile ein Dutzend gedreht. Joshua ging die Erläuterung von Marlies nicht mehr aus dem Kopf. Es war das zweite Mal, dass von diesen Botschaften die Rede war. Er zog seinen Notizblock aus der Jacke und suchte die Aufzeichnungen von dem Gespräch mit Doktor Wickum. Subliminale Botschaften stand dort
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