Zuhause ist ueberall
schließlich eine Wohnung in einem ganz netten kleineren Haus. Der Nachteil: Es gibt weit und breit kein Lokal, auch kein Geschäft. Realsozialistische Tristesse.
Noch schwieriger ist es, geeignete Mitarbeiter zu finden. Ich brauche einen Producer oder eine Producerin und einen Sekretär oder eine Sekretärin. Von Anfang an habe ich mir, durch frühere Erfahrungen belehrt, fest vorgenommen: Ich will nur mit Leuten arbeiten, die ich mag. Besser, sie sind weniger qualifiziert, aber sympathisch und verlässlich, als professionell, aber nervig.
In dieser Strategie werde ich von einem Remigranten bestärkt, einem Tschechen, der aus Deutschland zurückgekehrt ist und in Prag das erste postkommunistische Restaurant eröffnet hat. Er schickt von vornherein jeden gelernten Kellner weg, der sich bei ihm bewirbt. Wer »in der Totalität«, wie die Tschechen sagen, Gastronomie gelernt hat, war nach der Meinung des Wirts für jede Art von Kundenservice verloren. Folgerichtig nimmt er nur junge, ungelernte Leute auf und bringt ihnen selbst das Handwerk bei. Denn mit dem Aufblühen marktwirtschaftlicher Verhältnisse wird auch klar, was vierzig Jahre real existierender Sozialismus bei den Menschen, vor allem denen im Dienstleistungsgewerbe, angerichtet haben. Sie sind es gewöhnt, in denen, die etwas von ihnen wollen, eher Bittsteller zu sehen als Kunden. Sie hat wohl der Bolschewik vergessen, sagen die Leute, wenn sie wieder einmal von einer Verkäuferin oder einem Schalterbeamten angeschnauzt werden.
Mit Pavel Kukleta und Eva Kantůrková in der Küche des ORF-Büros in Prag, 1991
Wir inserieren also, mit einigem Bauchweh. Über Mangel an Bewerbern kann ich mich nicht beklagen. Jobs bei westlichen Arbeitgebern sind im Wendezeitalter heiß begehrt, und es wimmelt von Menschen, die liebend gern für das Österreichische Fernsehen arbeiten möchten. Meine Wahl fällt schließlich auf Pavel, einen jungen Blondschopf aus Mähren, und Eva, eine Familienmutter mit Kindern und Enkeln. Pavel kann leidlich Deutsch, versteht etwas von Buchhaltung, ist voller Arbeitseifer und Initiative und ein lieber Kerl. Bei Bedarf repariert er auch, was in meiner Wohnung und bei uns im Büro kaputt ist. Ein Segen, denn verlässliche Professionisten sind noch rar. Unsere Sekretärin wiederum ist eigentlich keine Sekretärin, sondern eine gelernte Chemikerin. Eva wird der gute Geist unseres kleinen Teams. Mittags kocht sie für uns, und dann sitzen wir alle miteinander in der Küche, oft kommen unser Cutter František und das Kamerateam, Kameramann Vlasta und Tonassistent Olda, auch dazu. Olda ist ein hundertprozentiger Prager Großstadtjunge, aber wie viele tschechische Stadtbewohner ist er im innersten Herzen ein Landmann geblieben. Irgendwo hat er zwei Mastschweine namens Gustav und Miloš, benannt nach den zwei bekanntesten kommunistischen Politikern. Vor Weihnachten werden sie geschlachtet, und Olda bringt köstliche frische Leberwürste ins Büro mit, die Eva für uns zubereitet. Wir schmausen und plaudern. Es ist gemütlich bei uns, obwohl wir viel arbeiten. Ich lerne dabei eine Menge über das Leben, das gewöhnliche Leute in den langen Jahren des Diktaturregimes geführt haben, jenseits ideologischer Diskussionen. Und ich erfahre, was die Menschen hier wirklich bewegt.
Von der Euphorie der sanften Revolution ist naturgemäß in den darauffolgenden Jahren nur mehr wenig zu spüren. Den völlig gescheiterten Staatssozialismus haben alle übersatt. »Wir tun so, als ob wir arbeiten, und ihr tut so, als ob ihr uns bezahlt«, hieß damals die allgemeine Definition des Wirtschaftslebens. Jetzt will plötzlich jeder Unternehmer sein. Eine Menge neuer Firmen entstehen, viele davon gehen schnell wieder ein, weil niemand weiß, wie Unternehmersein geht. Finanzminister Václav Klaus und sein Team von jungen Ökonomen haben die Königsidee der sogenannten Kuponprivatisierung ausgebrütet. Die Staatsbetriebe – und das sind ausnahmslos alle Betriebe im Lande – werden privatisiert, jeder kann Anteile, sogenannte Kupons, kaufen.
Wir sitzen in der Küche und überlegen, was für Betriebsanteile man am besten kaufen soll. Eva will Teileigentümerin einer Bäckerei werden. Brot brauchen die Leute schließlich immer, sagt sie. Pavel plädiert für die Škodawerke. Er will sich demnächst einen gebrauchten Škoda kaufen, da ist es schön, wenn einem auch ein winziger Teil der Fabrik gehört. Ein paar Jahre später gehören freilich so gut wie alle Kupons,
Weitere Kostenlose Bücher