Zuhause ist ueberall
vertreiben. Doch er blieb, wo er war. Das sei nun einmal der Ort, wo der liebe Gott ihn hingestellt habe, fand er, und da sei nun eben sein Platz.
Und so kümmert er sich jetzt um die paar alten Weiblein in seinem Dorf, die noch in die Kirche gehen, und ist der Mentor der jungen Priesterseminaristen, die in ihrem spitzeldurchsetzten Seminar einen integren Lehrer brauchen und ihn immer wieder besuchen kommen. Wenn er in der von ihm eigenhändig renovierten Dorfkirche die Messe feiert, zieht vor ihm, wie ein perfekter Ministrant, sein Rauhaardackel Bonny ein und setzt sich danach still und aufmerksam in die erste Bank. Kaum ist der Segen gesprochen, ist Bonny wieder vorne und wandelt gravitätisch vor seinem Herrn liturgiegemäß in die Sakristei.
Als ich eines Tages das einigermaßen heruntergekommene Pfarrhaus betrete, finde ich in der Küche sitzend einen Mann vor, dem man seinen Beruf des Polizeispitzels sofort ansieht. Ich bin entsetzt. Pfarrer Schmid ist ein Mann von unerschöpflicher Güte, wir sind bald gute Freunde geworden. Als der Besucher weg ist, sage ich zu meinem Gastgeber: Hermann, das ist doch ein Fiesel! Der hat dich jahrelang bespitzelt und denunziert! Jetzt wenigstens kannst du ihn doch hinausschmeißen! Hermann ist ein wenig verlegen. Ja, ja, sagt er. Aber weißt du, der hat sich so daran gewöhnt, hierherzukommen. Er hat doch sonst niemanden. Die Küche hier würde ihm fehlen. Und tatsächlich, als der Pfarrer von Čečelice wenig später stirbt, sitzt bei der Seelenmesse in der ersten Bank der Fiesel und kämpft mit den Tränen. Ich glaube ihm seine Trauer.
Als ich in Prag lebe, gleicht die tschechische Gesellschaft einem Patienten, der nach langer Krankheit mühsam im Begriff ist, sich zu erholen. Sechs Jahre Naziokkupation, drei Jahre – von 1945 bis 1948 – eine demokratische Zwischenphase, dann einundvierzig Jahre kommunistische Diktatur. Es gibt wenig stabile Werte, an denen die Menschen sich festhalten können. Die Kirchen haben in der Verfolgungszeit zwar an Reputation gewonnen, sie spielen aber – anders als etwa in Polen – in der breiten Bevölkerung kaum eine Rolle. Schon eher ist die Erinnerung an die Erste Republik und das demokratische Vermächtnis des Gründerpräsidenten Tomáš Masaryk ein Orientierungspunkt, zumindest für die Älteren. Vor allem aber ist es dessen Nachfolger auf dem Hradschin, Václav Havel, der in jenen ersten Wendejahren für viele eine moralische Autorität und ein Vorbild ist.
Ich habe Havel noch in der Kommunistenzeit für den Hörfunk interviewt, als dieser gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war. Eine großbürgerliche Wohnung in einem Jugendstilhaus, das einst Havels Großvater gebaut hatte, nur ein paar Blocks von meiner späteren Wohnung am Masaryk-Ufer entfernt. Ein Arbeitszimmer, vollgestopft mit Büchern und Papieren, aber in penibler Ordnung. Ein Schreibtisch mit Blick auf die Moldau. Und ein kleiner Mann im Pullover, noch blass und mitgenommen von den Jahren im Knast, aber von altmodischer Höflichkeit, in der zwischendurch immer wieder sehr tschechischer Witz durchblitzt. Vor seiner Entlassung wurde ihm verboten, sich weiter in der Öffentlichkeit zu äußern. Ich frage, ob er wirklich im Österreichischen Rundfunk reden will. Er sagt ja. Er will jetzt weiterkämpfen, bis die Demokratie im Lande erreicht ist. Auch wenn man ihn neuerlich einsperrt.
Verleihung des Masaryk-Ordens durch Václav Havel am 28. Oktober 2001
Und nun sitzt er oben auf der alten Königsburg. Wenn er da ist, weht auf dem Turm die Fahne mit dem Staatswappen und dem Präsidentenwahlspruch »Die Wahrheit siegt«. Ein Wort des Märtyrers Jan Hus. Havel hat einen Beamtenapparat übernommen, der von vorn bis hinten vom Geist des alten Regimes durchdrungen ist. Fiesel überall. Nur seinem engsten Mitarbeiterstab kann er wirklich vertrauen.
Dieser ist ein bunter Haufen, den man so anderswo in einer Präsidentschaftskanzlei kaum antreffen würde. Der außenpolitische Berater, später Außenminister, ist ein brillanter junger Mann, den ich vor nicht allzu langer Zeit noch als Bohemien-Studenten in einer etwas schmuddeligen Wohngemeinschaft kennengelernt habe. Ein Musiker ist unter den Präsidenten-Mitarbeitern, ein ehemaliger Journalist und als Kabinettchef der österreichisch-böhmische Aristokrat Schwarzenberg, der in Österreich Kary genannt wurde und jetzt Karel heißt. Er hat sich mit seinem Chef auf die historische Amtsbezeichnung Kanzler geeinigt. Nach seinem
Weitere Kostenlose Bücher