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Zum ersten Mal verliebt

Titel: Zum ersten Mal verliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Maud Montgomery
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helfen könntest?«, zwang sie sich zu fragen. Wenn Irene wenigstens damit aufhören würde, ständig auf ihren Stiefel zu starren! Sie hatte es schon richtig in den Ohren, wie sie Olive Kirk davon Bericht erstattete!
    »Ich weiß nicht, wie das gehen soll auf die Schnelle«, wehrte Irene ab. »Wie soll ich so schnell etwas Neues lernen?«
    »Du kennst doch eine Menge netter Lieder, die noch nie jemand in Gien gehört hat«, sagte Rilla. Sie wusste, dass Irene den ganzen Winter über in der Stadt Gesangsunterricht genommen hatte und sich jetzt nur herausreden wollte. »In Gien werden sie alle neu sein.«
    »Aber ich habe niemand, der mich begleitet«, protestierte Irene.
    »Una Meredith kann dich begleiten«, sagte Rilla.
    »Die kann ich unmöglich bitten«, seufzte Irene. »Wir haben seit Herbst nicht mehr miteinander gesprochen. Die war auf unserem Sonntagsschulkonzert so gemein zu mir, dass mir nichts anderes übrig blieb, als den Kontakt mit ihr abzubrechen.«
    Du lieber Himmel, hatte denn Irene mit jedem Streit? Die Vorstellung, Una Meredith könnte gemein zu jemandem sein, war so lachhaft, dass Rilla sich sehr zurückhalten musste, um nicht loszuprusten.
    »Miss Oliver ist eine gute Pianistin und sie kann jede Begleitmelodie vom Blatt spielen«, sagte Rilla verzweifelt. »Sie wird für dich spielen, und du könntest deine Lieder morgen Abend bei uns leicht noch durchgehen, bevor das Konzert anfängt.« »Aber ich habe nichts anzuziehen. Mein neues Abendkleid aus Charlottetown ist noch nicht gekommen und mein altes kann ich bei so einem großen Auftritt unmöglich anziehen. Es ist einfach zu abgetragen und altmodisch.«
    »Unser Konzert kommt den belgischen Kindern zugute, die kurz vor dem Hungertod stehen«, sagte Rilla mit fester Stimme. »Meinst du nicht, du könntest ihnen zuliebe einmal ein abgetragenes Kleid tragen, Irene?«
    »Ach, meinst du nicht, dass das, was über die Lage der Belgier berichtet wird, haushoch übertrieben ist?«, sagte Irene. »Richtig verhungern tun die bestimmt nicht, wir sind doch im zwanzigsten Jahrhundert. Die Zeitungen spielen die Dinge immer gleich so hoch.«
    Rilla fand, dass sie nun lange genug klein beigegeben hatte. Schließlich gab es auch noch so etwas wie Selbstachtung. Schluss jetzt mit der Schmeichelei, Konzert hin oder her! Trotz des blöden Stiefels stand sie auf.
    »Es tut mir Leid, dass du uns nicht behilflich sein kannst, Irene. Dann müssen wir eben versuchen das Beste aus dem Konzert zu machen - auch ohne dich.«
    Das passte Irene nun überhaupt nicht. Wo es doch ihr größter Wunsch war, auf dem Konzert zu singen. Ihre Zustimmung sollte nur wie eine besondere Gnade aussehen, daher die Verzögerungstaktik. Davon abgesehen, wollte sie zu gern wieder Rillas Freundin sein. War nicht Rillas freimütige Bewunderung wie Balsam für ihre Seele gewesen? Außerdem ging sie gern in Ingleside ein und aus, besonders, wo doch dort so ein hübscher College-Student namens Walter wohnte. Irene wandte endlich den Blick von Rillas Füßen ab.
    »Rilla, Schätzchen, nun sei doch nicht gleich so barsch zu mir! Ich will dir ja wirklich helfen, soweit ich kann. Setz dich doch und dann besprechen wir alles.«
    »Tut mir Leid, aber es geht nicht. Ich muss nach Flause.Jims ins Bett bringen, weißt du.«
    »Ach ja, das Baby, das du per Ratgeber aufziehst. Das ist ja wirklich süß von dir, wo du doch Babys überhaupt nicht leiden kannst. Wie verärgert du warst, bloß weil ich ihn geküsst habe! Aber wir wollen das alles lieber vergessen und wieder Freundinnen sein, ja?Jetzt zum Konzert! Ich denke, ich könnte mit dem Morgenzug in die Stadt fahren, um mein Kleid zu holen, und mit dem Nachmittagszug zurückkommen. Dann ist immer noch genug Zeit bis zum Konzert, vorausgesetzt, du bittest Miss Oliver, für mich zu spielen. Ich jedenfalls bringe das nicht fertig. Die ist so furchtbar hochnäsig, dass sie mich armes Würmchen richtig verunsichert.«
    Rilla verschwendete weder Zeit noch Energie Miss Oliver zu verteidigen. Sie bedankte sich kühl bei Irene, die plötzlich die Liebenswürdigkeit in Person war, und machte sich davon. Gut, dass dieses Interview vorbei war! Aber sie wusste jetzt, dass sie und Irene nie wieder dieselben Freundinnen sein konnten wie früher. Gute Bekannte, ja - aber Freundinnen, nein! Und sie wollte es auch nicht mehr. Abgesehen von anderen, schwerwiegenderen Sorgen war sie den ganzen Winter über ein wenig traurig gewesen, dass sie diese Freundschaft verloren hatte.

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