Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
Schrei einer Frau.
Ein Kindergesicht.
Und dann war es aus.
Das zertrümmerte Auto stand quer über dem Gehsteig. Eine Tür war aus den Angeln gerissen, die Kühlerhaube flach zusammengedrückt.
»Bitte, gehen Sie doch endlich weiter«, forderte ein Polizist die Leute auf.
Aber niemand kam seiner Aufforderung nach. Unfälle ziehen die Menschen an. Unzählige waren stehen geblieben, starrten auf das Wrack des Wagens, beobachteten die Geschäftigkeit der Polizisten. Viele der Leute schwiegen, waren ergriffen oder genossen den Prickel der Sensation. Andere diskutierten laut, fragten Augenzeugen aus und kamen sich sehr wichtig vor.
Der Krankenwagen fuhr eben ab. Der Ton der Sirene durchschnitt die Luft. Auf dem Pflaster blieb ein großer Blutfleck zurück.
Scherben lagen weit verstreut, knirschten unter den Schritten der Polizisten.
Im Funkstreifenwagen, der zur Hälfte auf dem Bordstein stand, sprach eine Stimme: »Hier Wagen fünf. Zentrale, bitte melden.«
»Hier Zentrale.«
»Der Verletzte ist abtransportiert, bewußtlos, schwere Kopfverletzung, Zustand sehr ernst. Er ist im letzten Augenblick einem Kind ausgewichen und gegen eine Mauer gerast.«
»Habt ihr den Namen?«
»Ja. Rechtsanwalt Viktor Riffart. Adresse: Montenstraße vier.«
»Verheiratet?«
»Ja.«
»Die Frau muß verständigt werden. Am besten, ihr erledigt das gleich. Sicher will sie sofort in die Klinik. Ihr könnt sie hinfahren.«
»Gut. Wir machen das.«
Es war fast auf die Minute genau sieben Uhr abends.
Eine fremde Hand berührte Lauras Schulter. Laura schrak hoch, blickte in die Augen eines alten, weißhaarigen Mannes.
»Sie müssen gehen«, sagte er, »es ist sieben Uhr. Ich muß die Kirche schließen.«
Laura, die in einer der vordersten Bänke vor dem Altar saß, stand auf. »Entschuldigen Sie …«
Der alte Kirchendiener musterte sie plötzlich aufmerksam. »Ich erkenne Sie jetzt wieder, wenn ich auch den Namen nicht mehr weiß. Sie haben hier geheiratet, nicht wahr?«
»Ja, ich habe hier geheiratet«, sagte sie.
»Ist heute etwa der Hochzeitstag?« forschte der Mann weiter.
Sie schüttelte nur den Kopf. »Nein«, hätte sie sagen müssen, »heute ist nicht der Hochzeitstag, aber morgen ist unser Scheidungstermin.«
Und vielleicht hätte dann der Weißhaarige den Kopf geschüttelt: »Liebe Frau, vor Gott gibt es keine Scheidung.«
Laura hatte es plötzlich eilig. Ihre Schritte hallten laut auf dem Steinboden. Die schwere Eichentür fiel hinter ihr ins Schloß. Ihr Gesicht verriet eine merkwürdige Entschlossenheit.
Sie überquerte den Josefsplatz, winkte einem Taxi.
»Wohin bitte?«
»In die Montenstraße.«
Laura lehnte sich in die Polster zurück, starrte zum Seitenfenster hinaus. Ich werde läuten, dachte sie, und er wird mir aufmachen. Und er wird vielleicht fragen: »Was willst du?« Und ich werde sagen: »Ich will nichts, Viktor. Ich will nur, daß wir anständig auseinandergehen.«
Ist das wirklich so abwegig, wenn man sich einmal geliebt hat? Oder belüge ich mich bloß? Möchte ich nur herausfinden, wie ihm zumute ist, ein paar Stunden vor der Auflösung unserer Ehe?
Als sie in der Montenstraße aus dem Taxi stieg, zog ein Nachbar etwas verwundert seinen Hut: »Guten Abend, Frau Riffart.«
»Guten Abend«, antwortete sie.
Laura läutete immer wieder. Erst langsam wurde ihr klar, daß er nicht zu Hause war. Und daß es schon viele Nachbarn gab, die sie beobachteten.
»Was will denn die noch hier?« Diese Frage wurde jetzt sicher hinter Gardinen geflüstert. »Ob sie sich doch nicht scheiden lassen?«
Nur ein paar Augenblicke lang spielte Laura mit dem Gedanken wegzulaufen. Dann aber suchte sie in ihrer Handtasche den Schlüssel und schloß die Haustür auf.
Sie ging entschlossen die Treppen hoch und sperrte mit dem anderen Schlüssel die Wohnung auf. Das Schloß klemmte ein bißchen, wie immer. Sie drückte die Tür von innen zu und blieb atemlos im Flur stehen.
Es kam ihr plötzlich vor, als habe sie eine Reise in die Vergangenheit angetreten. Sie stieß Türen auf, ging von Zimmer zu Zimmer, fand, daß alles unverändert war, daß noch alles in gespenstischer Weise an die gemeinsame Zeit erinnerte.
Vielleicht war es doch falsch gewesen, hierher zu gehen.
Sie wagte kaum etwas zu berühren. Sie setzte sich im Wohnzimmer in einen Sessel. Und sie dachte: Ich habe Angst. Aber ich will auf ihn warten.
Ehe Dr. Normann richtig begriff, was eigentlich los war, hatte der Anrufer schon wieder eingehängt.
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