Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
dumme Bemerkung macht, dann fange ich zu heulen an.
Aber er machte keine dumme Bemerkung. »Süß siehst du aus«, sagte er. »Genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich weiß noch genau das Geschäft, wo ich das Nachthemd gekauft habe. ›Für wen ist es denn bestimmt‹, hat mich die Verkäuferin gefragt, ›für Ihre Tochter?‹ – ›Nein‹, habe ich gesagt, ›für meine Frau!‹«
Jetzt drehte sich Stephi um. Sie versuchte zu lächeln. »Ist es dir …«, sie stotterte fast, »ist es dir nicht zu nackt?«
Und dann lag sie in seinen Armen. Er hielt sie so fest, daß ein leichter Schwindel sie erfaßte.
Er küßte sie. Und es war ihr, als hätte sie noch nie einen solchen Kuß bekommen.
»Stephi, bitte – sag, daß du mich noch liebst.«
Sie schlang ihm schnell die Arme um den Hals. »Ja, Martin, ich liebe dich. Ich habe nie in meinem Leben einen anderen Mann geliebt.«
Er hob sie hoch und trug sie wie ein kleines Mädchen ins Schlafzimmer hinüber. Und auch ihm fielen die Worte des Psychiaters ein: »Sie müssen Geduld mit ihr haben. Ihre Frau begreift sich allmählich selber. Sie wird kleine, winzige Schritte machen, um die Liebe zu lernen.«
Martin deckte Stephi zu, setzte sich zu ihr an die Bettkante. Und er wußte plötzlich: Ein lächerliches, kleines Nachthemd – das war ihr erster, winziger Schritt.
Dann lagen sie nebeneinander, in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers. »Verlangen Sie nicht gleich die große Leidenschaft von ihr«, hatte der Psychiater gesagt. »Verlangen Sie nicht mehr, als sie geben kann.«
Nein, er verlangte gar nichts von ihr. Er hielt nur ihre Hand, bis sie einschlief. In gewisser Weise, dachte er, ist dies unsere erste gemeinsame Liebesnacht.
Der Kellner räumte das Geschirr ab. »Darf es noch eine Nachspeise sein, gnädige Frau?«
»Ja. Karamelkrem.«
»Für mich einen Kaffee«, sagte Dr. Normann.
Ellen Diekenhorst, mit der er sich in ›Francis' Taverne‹, einem vornehmen und teuren Restaurant, zum Mittagessen verabredet hatte, lächelte ihn an: »Sind Sie zufrieden mit mir, Herr Doktor?«
»Ja, sehr.«
Sie sah ungemein elegant aus in diesem türkisfarbenen, raffiniert geschnittenen Modellkleid. Und mit dem Platinarmband und der Perlenkette. Sonst trug sie heute keinen Schmuck.
»Daß ein Rehrücken für mich plötzlich kein Problem mehr ist – kaum zu glauben! Ich habe kolossalen Appetit. Drei Pfund habe ich schon zugenommen!« Sie strahlte bei diesen Worten.
»Was sagt denn Ihr Mann dazu?« fragte Normann.
Ellen lächelte. »Wissen Sie, von Psychiatern hielt er bisher nicht viel. Jetzt hat er seine Meinung geändert.«
»Das freut mich«, bemerkte Normann kühl.
Ellen wirkte heute sehr gelöst, beinahe lustig. Es plauderte sich charmant mit ihr. Aber sie war nicht nur charmant, sie war auch gescheit. Und deshalb mußte die Frage, die sie jetzt stellte, kommen. »Ich glaube, Sie sind mir da noch eine Erklärung schuldig, Doktor.«
»Ja?«
»Warum habe ich alle Beschwerden von einem Tag auf den andern verloren?« Sie bemerkte sein Zögern, denn sie sagte schnell: »Bitte, nicht von Zufall reden, Doktor.«
»Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, Ellen?«
»Ja.«
»Und?«
»Ich bin zu keinem Ergebnis gekommen.«
»Dann will ich es Ihnen sagen.« Er blickte sie nachdenklich an. »Vergangene Woche haben Sie Ihren Mann im Büro abgeholt, stimmt das?«
»Ja«, antwortete sie erstaunt.
»Dabei haben Sie eine Feststellung gemacht, Ellen, eine für Ihr seelisches Gleichgewicht entscheidende Feststellung.«
Jetzt traf ihn ein merkwürdiger Blick aus Ellens Augen. »Mein Mann hat eine neue Sekretärin. Meinen Sie das?«
»Ja, das meine ich.«
Ellen legte sehr sorgfältig ihre Serviette zusammen. »Heißt das, daß ich in Ihren Augen auf die Vorgängerin eifersüchtig gewesen bin?«
»Genauso ist es.«
»Aber, Doktor, ich bin nicht auf Sekretärinnen eifersüchtig. Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig!«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich kenne meine Gefühle.«
»Nein«, erwiderte Normann, »eben nicht. Sie verdrängen Ihre Gefühle. Sie lassen die Eifersucht nicht heraus, was viel gesünder wäre. Sie reagieren sich nicht ab.«
»Sollte ich eine Szene machen?« unterbrach ihn Ellen Diekenhorst. »Weil mein Mann eine hübsche und junge Sekretärin angestellt hat? Mit solchen Geschichten würde ich sehr schnell meine Ehe ruinieren.«
Dr. Normann beugte sich etwas vor: »Ellen, darf ich Ihnen eine theoretische Frage
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